Kunstfertig: Sommerrundgang in der Akademie Düsseldorf
Am Dienstag (2.7.) gehen die Prüfer durch die Klassen. Obwohl kein Ungemach droht (der eigene Professor ist immer dabei), wird doch gebangt – und nachher in den Fluren gejauchzt und gefeiert. Sehr viele Blumen gibt es, der Schaumwein fließt in Strömen. 60 junge Künstler*innen verlassen die Geborgenheit der Düsseldorfer Akademie, um ihr Glück auf dem unsicheren Markt zu versuchen. Ihre Abschlusspräsentationen werden bis zum Sonntag am Eiskellerberg dem neugierigen Publikum präsentiert. Vielleicht sind ja schon die ersten Sammler dabei.
Aber die Akademie ist keine Galerie mit glattem Vermittlungskonzept. Die Betrachter müssen erst einmal verstehen, was sie sehen. Und das ist machmal nicht ganz einfach. Um Zeit und Kunstgeschichte geht es Li Zhuo (34), einem in China bereits arrivierten Schüler der amerikanischen Professorin Rita McBride. Er zeigt unter anderem monochrome Prints, abstrakte Malerei, die an die Oberflächen der Impressionisten erinnert, einen ausgestopften Raubvogel sowie eine Statue aus der Antikensammlung, die einst als Maß aller Dinge galt. Sein eigenes Maß bleibt eher ungewiss.
Tattoos und Hexenwerk
Der Georgier Levani Svanishvili aus der Klasse Dedobbeleer kennt die Kunstgeschichte ebenfalls, lässt sich aber eher von eigenen Eingebungen und Sehnsüchten inspirieren. Auf einer acht Meter langen, bräunlich getupften Wandarbeit platziert er Holzstücke und –früchte wie Zitate aus einer heilen Welt. Und tatsächlich wachsen aus einer Astscheibe ein paar zarte Gräser. Sehr poetisch. Tassilo Lantermann, Schüler des Bildhauers Thomas Grünfeld, liebt hingegen das herbe Konzept. Er hat ein hohes Kabinett mit weißem Vorhang und schwarzer Liege aufgebaut und lädt mutige Fans ein, sich seinen Namen in feiner Schrift an eine beliebige Stelle tätowieren zu lassen. Am Prüfungstag hatten sich nach seiner Auskunft bereits acht Leute auf diese hautenge Bindung eingelassen.
Ein Foto will Kantermann nicht von sich machen lassen. Einige Aufnahmen seiner Eingeweide, für die er eine endoskopische Kapselkamera geschluckt hatte, sollen sein Porträt auf ganz andere Art erweitern. Eine Herausforderung ist auch die Installation von Enya Mareen Burger, die ein gläsernes Gebäude mit alten Butterfässern in die Klasse Schneider stellte. Eine Raumskulptur? Nein, weit mehr. In einem Inkubator an der Wand wächst ein Schleimpilz, der, mit Kabeln verbunden, seltsam klackende Geräusche verursacht und Erinnerungen bergen soll – an magische Zeiten. Ein toter Hase (Beuys lässt grüßen) spielt eine Nebenrolle in diesem aparten Hexenwerk, das mit einem hübsch gedruckten Text („Guided by Memories“) auch nicht klarer wird.
Rätsel und Wow-Effekte
Aber die Kunst ist keine Wissenschaft und muss gar nicht eindeutig sein. Sie darf den Durchblick trüben wie die Fenster, die Fabian Raphael Sokolowski in der Klasse Piller mit Lebensmittelfarbe, Buttermilch und Soja-Joghurt bestrichen hat, was ein schönes Sonnenuntergangslicht erzeugt: „I tried touching the sky …“, den Himmel wollte er berühren. Seine Kommilition Emmélie Lempert bleibt ganz bei sich. Sie hat im Lockdown der Pandemie begonnen, mit Textilien zu arbeiten. Seither näht sie selbst kuriose, nur auf den ersten Blick historisch anmutende Kleidung: Hosen, Hauben, Korsetts und Handschuhe mit spinnenhaften Fingern, weiß und hautfarben. Die Teile klemmt sie mit zeichnerischer Ästhetik zwischen Plexiglasscheiben, es entstehen Objekte von beunruhigender Rätselhaftigkeit.
Auch Hannah Gernhäuser aus der Typographie-Klasse von John Morgan hat ihr Motiv entdeckt. Sie zeichnet und tuscht rötliche Mauern, die sich auflösen, fließen, fliegen können. Sehr fein und subtil sind diese Arbeiten. Yunju Lee hingegen, eine zarte Person aus der Malklasse von Tomma Abts, denkt ganz groß. Mit dem Digitalprint einer Fotografie von einer beleuchteten Glasplatte bedeckte sie die gesamte hintere Wand eines großen Saals. „Glitch“, kleine Störung, ist der witzige Titel. Ein Wow-Effekt in Pink und Blau, der von lebhafter Malerei ergänzt wird.
Rosen und Vögel
Im zweiten Stock gibt’s weitere Entdeckungen. Helena Katharina Doerfel, Schülerin von Andreas Schulze, träumte von einem leeren Museum, an dessen Decken ihr Rosen erschienen – seither malt sie die prächtigen Blumen. Immer wieder. Rot, gelb, pink blühen sie auf leeren Flächen oder im Gestrüpp. Keine hübschen Sträußchen, sondern monumentale Gewächse, die jedes Wohnzimmer in einen Garten der Kunstfantasie verwandeln würden. Spröder, aber ebenso interessant sind die abstrakten Arbeiten von Sarah Jeong (Klasse Baumgartner), die auf Drucke malt und die vielschichtige Oberfläche zum Teil mit Gießharz glänzen lässt.
Professorin Lena Newton ist Bühnenbildnerin. Ihre Schüler lernen, ganze Räume zu gestalten. Einen Versammlungsplatz („To Gather Place“) schufen Kayo Goede, Robert Rickli und Margareta Bartelmeß mit drei ganz unterschiedlichen Werken. Goede baute ein im Luftzug schwebendes „Schilfhaus“, Rickli spannte ein malerisches Segel, und Bartelmeß installierte einen Automaten, der seinen Konstruktionsplan auf einen transparenten Schleier stickt, der immer länger wird.
Lust auf ein ganz anderes Erlebnis? Hinter einem schwarzen Vorhang leuchtet im finsteren Raum voller Heu und undefinierbaren Tüten und Gefäßen eine Art Jurte, in der die Schneider-Schülerin An-Chi Hung seltsame Vögel versteigert: Hybride aus Puppen und Tieren. Der Erlös wird gespendet. Die Kunst will auch Gutes tun.
Was, wann und wo?
Der „Sommerrundgang“ der Kunstakademie Düsseldorf, Eiskellerstr. 1, ist bis Sonntag täglich von 10 bis 20 Uhr geöffnet. Eintritt frei. Gruppenführungen bis zu 15 Personen können zum Preis von 75 Euro angefragt werden unter vanessa.sondermann@kunstakademie-duesseldorf.de