Düsseldorf macht einen Kunstausflug: „Incarnate“ in der Langen Foundation

Sie will es, sie kann es: Julia Stoschek, deutsche Milliardärin und renommierte Sammlerin von „zeitbasierter Medienkunst“, lässt ihr Düsseldorfer Ausstellungshaus an der Schanzenstraße schon nach 20 Jahren umbauen. Es soll barrierefrei werden, offener, flexibel nutzbar. Und noch cooler. Bis zur Eröffnung im kommenden Frühjahr sorgt die Stoschek Foundation dafür, dass sie im Gespräch bleibt: als Gast in einem anderen privat gestifteten Museum, der Langen Foundation an der alten Raketenstation Hombroich. Dort werden Stoscheks Videos mit der feinen asiatischen Kollektion des Gründerehepaars Marianne und Viktor Langen kombiniert.

Ein bisschen Frieden: antiker Buddha-Kopf aus der Asiatika-Sammlung von Viktor und Marianne Langen. Foto: bikö
„Incarnate“ heißt die von Nadim Samman kuratierte Ausstellung. Das heißt soviel wie Sichtbarwerden, Verkörpern. Und es soll der verbindende Gedanke sein zwischen den wimmelnden Bewegtbildern der Gegenwart und dem lautlosen Lächeln des Buddha. Sucht nicht die Menschheit in allen Formen der Kunst nach Wahrheit und Erlösung? Gewiss, aber unabsichtlich beweist die Schau vor allem eins: Die neuen Medien sind einfach (zu) dominant. Stille Dinge werden überstrahlt – nicht nur, weil das Licht in dem von Tadao Ando in die niederrheinische Landschaft gesetzten Beton-Tempel zugunsten der Projektionen gedimmt werden muss.
Schattenboxen

Dominant im abgedunkelten Raum: das Video „Warm, Warm Spring Mouths“ von Ed Atkins. Foto: bikö
Wer das Konzept als Ganzes wahrnehmen und würdigen will, muss sich auf eine anstrengende Konzentrationsübung gefasst machen. Denn die meisten Asiatika befinden sich nicht auf Augenhöhe mit der Technik wie „Shigekos Budhas“, die 1986 von Video-Pionier Nam June Paik mit einem Augenzwinkern vor drei kleine Monitore gesetzt wurden. Moderne Videokunst beherrscht den ganzen Raum. Der Besucher tappt meist im Dunkeln, starrt aufs Helle.
Vorbei an einem fast rührenden Schattenboxer, der ursprünglich ein Schmalfilm von Vito Acconci war („Shadow Play“, 1970), sucht man den Weg in den Japan-Saal der Foundation, wo zauberhafte Paravents aus der Edo-Zeit ihre Tuschzeichnungen auf Gold entfalten: Wellen, Vögel, anmutige Fächer. Anders als diese zarten Details macht sich das Video „Swallow“ (Schlucken) der französischen Filmkünstlerin und Turner-Preisträgerin Laure Prouvost gleich bemerkbar. Zu lustvoll lauten Atemgeräuschen baden da nackte Schönheiten in exotischer Natur. Es geht um Haut, Wasser, verbotene Früchte.

Videos der Stoschek Collection und Asiatika aus der Sammlung Langen: Hinter einem altjapanischen Paravent flimmert ein Film von Laure Prouvost. Foto: bikö
Digitales Ich
Ganz witzig, das erotisch aufgeladene Lichtspiel hinter Paravents zu zeigen. Aber der Raum ist zu eng und stickig. Man sucht das Weite und findet es schließlich auf der Galerie, von wo der Blick auf das spektakulärste neue Kunst-Stück fällt: Lu Yangs Video „DOKU The Flow“. Die Figur Doku weist große Ähnlichkeit mit der 1984 in Shanghai geborenen Künstlerin auf, die sich heute als genderneutral versteht. Bei ihrem digitalen Alter Ego handelt sich um einen hübschen Avatar, der aus dem Weltall in eine felsige Landschaft geworfen wird, eine Art Lebenswanderung antritt, altert, wieder jung wird und schließlich auf einem Luxusdampfer namens „Desire“ hohlen Vergnügungen frönt. Untertitelt wird das Animationspektakel mit gefühlvollen Sätzen wie: „Your heart is a magician“, dein Herz ist ein Zauberer.

Wie ein spiritueller Mahner hockt die Buddha-Figur vor der Projektion von Videokunst. Foto: bikö
Wer sich ganz ins Internet begibt, erklärte Lu Yang in einem Interview mit der New York Times, kann alles hinter sich lassen: Identität, Nationalität, Geschlecht, sogar die Existenz als menschliches Wesen: „I rather like this feeling“, das Gefühl gefällt ihm/ihr. In der Tat übt das digitale Universum einen Sog aus, dem man sich kaum entziehen kann. Daran ändern auch die Buddha- und Bodhisattva-Skulpturen nichts, die Kurator Samman als stumme Mahner vor der Projektionsfläche angeordnet hat.
Ein Spaziergang
Vor der langen Rampe wurde ein weiterer Avatar posiert: Ein digitaler Jüngling mit flutendem Haar soll in einem Video von Ed Atkins irgendwie auf Vergänglichkeit hinweisen. Unter der Treppe tobt Max Ernsts dämonenhafter „Hausengel“ in einer Animation von Cyprien Gaillard, während weitere Buddhas mit milden Gesichtern den Frieden des Nirwanas versprechen. Die Zuordnungen der einzelnen Werke sind äußerst mühsam, es wird nur ein Zettel mit einer Liste ohne Lageplan verteilt. Raten ist angesagt. Aber nur im Stehen. Es gibt leider keinerlei Sitzgelegenheiten in der geradlinigen Architektur.

Einen Kunstausflug wert: die Langen Foundation in Neuss nahe der Museumsinsel Hombroich. Das Haus (hier ein Frühlingsfoto) wurde von Tadao Ando gebaut. Foto: bikö
Zum Glück kann man sich draußen in der Landschaft bei einem kleinen Spaziergang erholen. Das gehört mit zum Kunstausflug. Und wenn man schon einmal da ist: Die runde Skulpturenhalle des Düsseldorfer Bildhauer Thomas Schütte ist immer einen Besuch wert. Betreut von reizenden und auskunftsfreudigen Expert*innen kann man derzeit (noch bis 7. Dezember) die skurrilen Objekte von Reiner Ruthenbeck (1937-2016) entdecken: zum Beispiel eine „Lattenpyramide“, einen „Weißen Papierhaufen“, einen mit Stöckchen verbundenen „Doppel-Aschehaufen“ oder den berühmten „Tisch auf gelber Kugel“. Wir freuen uns – und die Erde hat uns wieder.

Skurrile Objekte von Reiner Ruthenbeck sind in der Skulpturenhalle der Schütte Stiftung zu entdecken: „Tisch auf gelber Kugel“ und „Schwarzer Papierhaufen“. Foto: bikö
Was, wann und wo?
„Incarnate“, Werke aus der Julia Stoschek Collection und der asiatischen Sammlung von Viktor und Marianne Langen: bis 22. März in der Langen Foundation, Neuss, Raketenstation Hombroich 1. Eintritt: 10 Euro. www.langenfoundation.de
In der Nachbarschaft befindet sich die Skulpturenhalle der Thomas Schütte Stiftung, wo bis zum 7. Dezember ausgewählte Objekte von Reiner Ruthenbeck zu sehen sind. Eintritt: 7 Euro. www.thomas-schuette-stiftung.de