Junge Kunst im Immermannhof Düsseldorf macht Lust auf mehr

Es ist ein Trauerspiel mit der Düsseldorfer Bahnhofsgegend. Trotz schicker Träume – voller Kultur und Lifestyle – sammelt sich beharrlich das Elend auf den Plätzen, und altmoderne Strukturen wie der Immermannhof verbreiten graue Gefühle. Öd und leer steht seit zweieinhalb Jahren das einstige Tourismusbüro. Der Besitzer, ein Kölner Projektentwickler namens Art-Invest Real Estate, hat zwar, wie Sprecher Andreas Stolz versichert, „eine Idee“ für die Zukunft, aber die wird nicht verraten. In der Zwischenzeit darf’s vier Wochen lang Kunst sein. Dank der diplomatischen Beziehungen des privaten Kunstvereins 701 zeigt die Klasse von Akademieprofessorin Alexandra Bircken, was sie kann: „Yes, Beautiful“!

Gemeinsam für die junge Kunst (von links): Akademieprofessorin Alexandra Bircken, Sponsor Andreas Stolz sowie Vorsitzender Michael Leistikow und Geschäftsführerin Heike Sturm vom Kunstverein 701 e.V. im Immermannforum. Foto: bikö
Schön ist in der Tat die Frische und Ideenfülle, mit der 20 junge Talente die Immobilie, wie Professorin Bircken es ausdrückt, „als Bühne“ benutzen. Mitsamt den Hinterlassenschaften der früheren Nutzung: abgetretener Linoleumboden, vergilbte Regale, Schalter mit Panzerglas. Die matten gebogenen Stahlwände, die ein rundes Podest abgrenzen, sind allerdings eine Raumskulptur – von Madlin Bentlage – und bringen Struktur in den Saal. Gleich dahinter sorgt Anna Francesca Fuhrich mit Treibholz-Objekten für einen naturbezogenen Kontrast, während Tayyib Sen sein Spielchen mit Kabelsalat treibt.

Auch Kabelsalat kann Kunst sein: Tayyib Sen hat mit dem Material gearbeitet. Foto: bikö

Professorin Alexandra Bircken erklärt die Treibholzobjekte von Anna Francesca Fuhrich: „Maremma III“. Foto: bikö
Schlangenbaum

„Häutung“ nennt Tonia Fee Grass (Mitte) ihr Objekt mit Glaskugeln, Weidenzweigen, Federn und einer Schlangenhaut. Foto: bikö
In der Ecke stehen drei mundgeblasene Glaskugeln, in denen Weidensetzlinge ihre Wurzeln schlagen. Mit Gänsefedern und einer Schlangenhaut macht Tonia Fee Grass daraus ein verträumtes Objekt: „Häutung“. Kommilitonin Paula Rinderle setzt lieber auf harte Bildhauerei. In einer Schmiede hat sie ein stählernes Podest schneiden lassen und aus alten Messern eine Reihe von Granatapfelblüten gebogen, deren tückischen Spitzen man nicht zu nahe kommen sollte. An einem Fenster flackert ein Video mit Aquariums-Fischen, das Sonja Heim gefilmt hat. „Wie kann ein Lebensraum so manipuliert sein und dennoch Freude hervorrufen?“, fragt sie sich.

Gefährliche Schönheit: Aus alten Messern sind die stählernen Granatapfelblüten auf einer Skulptur von Paula Rinderle. Foto: bikö

Am Fenster lässt Videokünstlerin Sonja Heim Aquariumsfische schwimmen: „MegaZoo am Nachmittag“. Foto: bikö
Beunruhigung ist kein schlechtes Leitmotiv für junge Kunst. Das findet auch Marie Schubert und installierte einen tropfenden Wasserhahn über einer Herdplatte. Heiß ist die Platte. Alle paar Minuten zischt es, und nach kurzem Tanz verdampft das Wasser spurlos: Vanitas! Gleich daneben hängen zwei rätselhafte Keramikarbeiten: seltsam gequetschte Rohrformen. Es sind Abbilder von Waffentrümmern aus Kiew. Die erst 23-jährige Ukrainerin Alisa Kulesh hat etwas Bedrohliches empfindsam in etwas Fragiles verwandelt.

Maliziöse Installation: Marie Schubert kombinierte einen tropfenden Wasserhahn mit einer heißen Herdplatte: „another day, another century“. Foto: bikö

Bedrohliches wird zu Fragilem: Die Keramiken von Alisa Kulesh sind Waffentrümmern nachgeformt. Foto: bikö
Ausdruck gesucht
Unbeschwerter geht es in einem Hinterraum zu. Anna Henn hat Ende August spielbegeisterte Besucher*innen des Kölner Gamescom Camps fotografiert – und Plakate mit diesem munteren Völkchen an die trostlosen Regale gehängt. Lilith Sachsenhauser platzierte auf einer kleinen Teeküchenzeile eins ihrer irritierenden Objekte – ein Art hartes Kissen mit gestreiftem Frotteebezug, vier Holzhörnern und einzelnen langen Haaren wie aus einer Pferdemähne: „Ohne Titel (Kreuz)“. Unverständlich? Mag sein. Aber Kunst muss sich nicht anbiedern. „Ein Kreuz verweigert, versperrt“, erklärt die Künstlerin, „es ist kraftvoll und bündelt dies in seiner Mitte.“

Kunst in der alten Teeküche: Anna Henn (links) fotografierte bei einem Gamer-Camp, Lilith Sachsenhauser gibt mit ihrem unbetitelten Kreuzobjekt Rätsel auf. Foto: bikö

Konkrete Kunst der Gegenwart: Niels Fäßles Wandobjekt „Fenster“ ist ein Rechteck aus Beton. Foto: bikö
Auch Niels Fäßle schafft nichts Gefälliges. Sein gekipptes Fenster an der Flurwand verweigert die Aussicht. Es ist aus Beton gegossen. Undurchdringlich. Pure Form. Gegenüber verweist ein Skizzenblatt auf die hintere Kammer, eine ehemalige Geldwechselstube. Linda Skellington hat dort eine Rauminstallation gewagt: mit ihren Zeichnungen und mit Sammelstücken wie einer winzigen Babypuppe. Hinten steht, über einer Puppenstube für eine Chillischote, ein gebrochener Eiffelturm aus Pappe, im Staub auf einer Plattform liegt eine tote Fliege. Die Touristenattraktion, Ziel mancher Sehnsüchte, wird so zum Symbol des Unbehagens. Und die junge Kunst erweist sich als sehr nachdenklich.

Rauminstallation: Linda Skellington hat eine ehemalige Wechselstube bespielt – mit Sammelstücken, Zeichnungen und einem speziellen Eiffelturm: „Time and Sex“. Foto: bikö
Was, wann und wo?
„Yes, Beautiful“: ein Ausstellungsprojekt des Kunstvereins 701 e.V. mit der Akademieklasse Alexandra Bircken im Immermannhof, Düsseldorf, Immermannstr. 65. Zur Eröffnung am Freitag, 19. September, 18-21 Uhr, sprechen (um 19 Uhr) Miriam Koch, Dezernentin für Kultur und Integration, Andreas Stolz vom Sponsor Art-Invest Real Estate und Michael Leistikow, der Vorsitzende des Vereins 701, einer 2005 gegründeten gemeinnützigen Initiative zur Förderung junger Kunst. Die Ausstellung läuft bis zum 19. Oktober, geöffnet Do.-So., 14 bis 18 Uhr. Eintritt frei. Finissage am Sonntag, 19. Oktober, 15 bis 18 Uhr. www.701kunst.de