Beständige Zerbrechlichkeit: Sammlung Philara Düsseldorf feiert die Kunst

Diese Ausstellung ist nicht zu überhören: In der Eingangshalle der Sammlung Philara dröhnt es aus Flöten, Trompeten und Orgelpfeifen, von Windmaschinen geblasen. Wie riesige Posaunen drehen sich dazu langsam ein paar Glasfaserobjekte mit versteckten Lautsprechern. „Modular Organ“ von Phillip Sollmann und Konrad Sprenger ist eine skulpturale Multi-Kanal-Installation, die den Raum in ein Klangerlebnis verwandelt. Des Weiteren feiert die Stiftung die Kunst mit den Gemälden von Anton Henning und mit Objekten aus Glas: „Melting Sands“.

Klangkunst in der Sammlung Philara: Frederike Möller, die Intendantin des Internationalen Düsseldorfer Orgelfestivals (IDO), unterstützt das Projekt „Modular Organ“ von Phillip Sollmann (rechts) und Konrad Sprenger. Foto: bikö
Während die abgewrackte städtische Kunsthalle ins Koma fällt und demnächst wegen Sanierung für Jahre geschlossen wird, zeigt das private Institut der Düsseldorfer Unternehmerfamilie Bronner, wie man zeitgenössische Kultur genussvoll und erkenntnisreich präsentiert. Ein Skulpturengarten auf dem Dach und das angedockte Bulle Bistro tragen dazu bei, dass es einfach Freude macht, die nach Gil Bronners Kindern Philip und Lara benannte Sammlung Philara mitten in Flingern zu besuchen. 2016 wurde die vom Düsseldorfer Architekten Joachim Sieber umgebaute Fabrik eröffnet. Seit 1875 hatte hier zuvor die Glaserei Lennarz ihren Sitz. 150 Jahre: ein Grund, das Material Glas in der neuen Kunst zu präsentieren.
In Klängen wandeln

Wandeln und lauschen: Skulpturale Trichter aus Glasfaser drehen sich langsam und produzieren geheimnisvolle Töne – ein Teil des „Modular Organ“ in der Sammlung Philara. Foto: bikö
Aber ehe man sich der Kunst beständiger Zerbrechlichkeit zuwendet, gibt es etwas auf die Ohren: das „Modular Organ System“. Sollmann und Sprenger, zwei multikuturell arbeitende Musiker aus der Berliner Szene, entwickeln seit 2017 immer neue Variationen ihres Klangwerks und sind, so Phillip Sollmann, „überwältigt vom Zustand des Projekts“ – in der großen Halle von Philara, wo es mit dem fördernden Segen des Internationalen Düsseldorfer Orgelfestivals (IDO) für drei Monate installiert wurde.
Anderthalb Stunden lang ist die computergenerierte Komposition, läuft in Dauerschleife – und hat eine hypnotische Wirkung. Beim Wandeln zwischen den tönenden Skulpturen klingt es mal wie ein Kirchenkonzert, dann wie Schiffssirenen. Alarmartige Höhepunkte gehen über in sphärische Geräusche. Man hört ein beruhigendes Brummen, fast wie ein lang gezogenes Ooom in der Meditation eines Riesen. Versetzt die Stimmung garantiert in Schwingungen.
Träume und Tricks

Reden über Kunst gehört dazu: Der Maler Anton Henning erklärt sein Bild „La Rencontre No. 4“, frei nach Courbet. Rechts im Bild: Philara-Direktorin Julika Bosch. Foto: bikö
Noch durchdrungen von den Klängen entdeckt man in den hinteren Erdgeschoss-Räumen die „Träume, Trichter & Tricksereien“ des Berliner Malers Anton Henning. Der 61-jährige, der seit ein paar Jahren einen Kultursalon in der Tradition des 19. Jahrhunderts führt, macht sein eigenes Ding. Als Jüngling verließ er die Akademie schon nach wenigen Monaten und brachte sich selbst die nötigen Kunsttechniken bei. Seine Inspiration kommt „aus dem Leben“, seine Themen sind „Nähe, Zärtlichkeit“. Manchmal auch Gewalt. Er arbeitet abstrakt und figurativ, klaut Motive bei älteren Meistern und pfeift auf den Zeitgeist.

Surreales „Interieur“: eins der vom Leben inspirierten Gemälde des Berliner Malers und Salon-Betreibers Anton Henning. Foto: bikö
„Sieht aus wie eine Gruppenausstellung“, bemerkt der Künstler fröhlich, denn von einem einheitlichen Stil kann bei ihm keine Rede sein. Hier hängt eine deutliche Kuh „auf moderner Zeichnung“, dort ein kopfloses „Pin-Up“ mit stark stilisierten Brüsten. Eine freie Schwingung verträgt sich mit einer postimpressionistischen Landschaft. Es gibt ein konventionelles Blumenstillleben und „Interieurs“ mit surrealen Verwicklungen. Und ein bisschen Spott über den Kunstmarkt. In einem Bild nach Gustave Courbets „Rencontre“ (Begegnung) von 1854 trifft Maler Henning selbst auf einen offensichtlich mit Blindheit geschlagenen Sammler, der von einem Schaf und einem servilen Berater begleitet wird. „Ein bisschen heikel“, lächelt der Künstler, schließlich befindet er sich im Haus eines Sammlers.
Leises Klirren

Glasauge, sei wachsam: Detail aus der Wandinstallation „Field of Vision“ von Mathilde Rosier. Foto: bikö
Aber Toleranz gehört zum Konzept bei Gil Bronner und seiner Direktorin Julika Bosch. Die Kunst darf sich jede Freiheit nehmen. Inhaltlich und formal. Das zeigt auch die große dritte Ausstellung über das Glas mit 15 verschiedenen Poistionen. Ein paar Kunstlampen sind zwar auch dabei, aber sonst fehlen die üblichen Objekte: Vasen, Becher, Zierfiguren und Murano-Leuchter an der Grenze zum Kitsch. Stattdessen suchten Julika Bosch und Kuratorin Hannah Niemeier nach „neuen Metaphern aus Glas“. Beobachtet werden sie dabei von sieben der mundgeblasenen gläsernen Augen, die Mathilde Rosier für die Fassade des Marseiller Museums der Zivilisationen Europas entworfen hat.

Zart und zerbrechlich sind die gläsernen Spiralen aus der Installation „Chime“ der niederländischen Künstlerin Jeanine Verloop. Foto: bikö
Wie man weiß, können Dinge aus Glas tausend Jahre halten – und zugleich jeden Moment zerbrechen. Mit dieser Gefahr spielt die holländische Künstlerin Jeanine Verloop in ihrer Installation „Chime“ (Glockenspiel). Zarteste Spiralen aus Glas, die sie selbst auf einer Töpferscheibe gedreht hat werden aufgehängt und elektronisch in sanfte Schwingungen versetzt. Sie zittern wie Espenlaub und klirren leise. Es könnte sein, dass die Spannung so steigt, dass sie zerspringen. Teil des Konzepts.
Witz und Traurigkeit

Glas mit Witz: Kuratorin Hannah Niemeier präsentiert die in Tiffany-Technik konstruierten Wandobjekte von Katharina Maderthaner. Foto: bikö
Robust sind dagegen die Leuchtkästen des Düsseldorfer Konzept- und Lichtkünstlers Mischa Kuball, der mit Fotografien und Neonröhren geheimnisvolle Nachtbilder schafft. Auch Humor kann das Glas haben. Katharina Maderthaner, junge Professorin für Künstlerische Grundlagen an der Bergischen Universität, verwendet die Tiffany-Technik aus dem Jugendstil – Glasteile werden mit Kupfer und Lötzinn zu Lampenschirmen und Zierfenstern verbunden – für die Herstellung witziger Wandobjekte. Sie machte daraus Pullunder, Socken, eine Kaffeemaschine und sogar ein Käsebrot. Ihre Ikonen des spießbürgerlichen Alltags.

Geheimnisvolle Skulpturen: Wie Kuratorin Hannah Niemeier erklärt, lässt die Spanierin Leonor Serrano Rivas das flüssige Glas durch Holzformen blasen. Foto: bikö
Schwieriger sind die Objekte der Spanierin Leonor Serrano Rivas, die flüssiges Glas durch ausgeschnittene Holzformen blasen lässt. Am Ende bindet sie die entstandenen Glaskörper in die leicht angebrannten Holzrahmen. Es entstehen rätselhafte Skulpturen, die sie „Carcasa“ nennt. Eine Karkasse ist das Gerippe, das nach dem Tranchieren von Tieren übrig bleibt, und es bezeichnet auch ein altmodisches Geschoss. Tiefgründig ist auch die riesige Zwiebel aus Zuckerglas, die Narges Mohammadi konstruiert hat. Nach der Flucht aus Afghanistan in die Niederlande starb ihr Vater – und wurde weit weg von der Familie beerdigt. Narges war erst zehn Jahre alt und spürt die Trauer noch immer. Die begehbare Zwiebel, deren leichtes, im Filmgeschäft benutztes Material jederzeit zerbröseln kann, steht, sagt sie, für die „layers of sadness“, die Schichten der Traurigkeit – und ist zugleich ein tröstlicher Platz mit goldenem Licht.

Für Schichten der Traurigkeit und zugleich für Geborgenheit steht die begehbare Zwiebel, die Narges Mohammadi (im Bild) aus Zuckerglas konstruiert hat: „In the shadow of the sun“, im Schatten der Sonne. Foto: bikö
Was, wann und wo?
Drei neue Ausstellungen zeigt die Sammlung Philara, Düsseldorf, an der Birkenstr. 47a (im Hof) bis zum 25. Januar 2026: die Klanginstallation „Modular Organ“ von Philip Sollmann & Konrad Sprenger, Bilder von Anton Henning unter dem Titel „Träume, Trichter & Tricksereien“ sowie die gläsernen Werke von 15 zeitgenössischen Glaskünstlern, „Melting Sands“. Das Haus ist leider nur am Wochenende geöffnet, jeweils freitags von 16 bis 20 Uhr sowie Samstag/Sonntag von 14 bis 18 Uhr. Der Eintritt ist frei, man freut sich über freiwillige Spenden („Pay what you wish“). Die Teilnahme an Führungen (Sa./So. 15 Uhr) kostet fünf Euro. Anmeldung über die Website www.philara.de