Die Weisheit der Puppen in der Sammlung Philara Düsseldorf
Ach so? Puppen sind Kinderkram? Kitsch? Keine Kunst? Das mögen manche denken, aber die Sammlung Philara in Düsseldorf beweist, dass die verspielten Geschöpfe von den ganz großen Themen erzählen können: Tod und Teufel, Liebe und Furcht, Tyrannei und Befreiung. „Cutting the Puppeteers’s Strings“ heißt die Schau mit über 30 Positionen, und sie schneidet die Fäden des Puppenspielers dann doch nicht durch, sondern fängt damit das Publikum ein. Ganz sanft.
Ein echter Düsseldorfer Puppenspieler ist auch dabei – und hat ein kleines hölzernes Ensemble mitgebracht. Anton Bachleitner, seit den 1980er-Jahren Chef des Marionettentheaters an der Bilker Straße, erinnert mit dem Glücksdrachen Fuchur, dem grünhäutigen Atréju und der feenhaften Kindlichen Kaiserin an seine Inszenierung der „Unendlichen Geschichte“. Lauter Charakterköpfe, neo-expressionistisch. Bachleitners „Momo“ hängt im Dunkeln ab – im Kreis mit dem spitzzahnigen Werwolf, der Lokomotive Emma, und einem doppelten Mephisto. Ihr Reigen ist eine Kunstinstallation der Kanadierin Lili Huston-Herterich, die ein ganz neues Spiel für die Puppen schrieb. Wir hören da zum Beispiel vom Werwolf: „I deserve an afterlife“, er verdiene ein Leben nach dem Tode.
Gruseliger Spaß
Das ist ulkig, aber auch ein bisschen gruselig. Typisch für die Puppenschar, die bei Philara ihren großen Auftritt hat. Hinter einer großen Collagenwand, die an ein Puppentheater erinnert, lässt Lili Huston-Herderich in einem Video ein paar gestrickte Experten mit Metallköpfen von einer vergessenen Malerin namens Peg Miller erzählen. Lili selbst leiht den Marionetten ihre wechselnde Stimme. Lust auf eigene Experimente? Zwei gelenkige Stoffriesen mit Stäben an den Händen („Hybrid Puppets“), die Dardan Zhegrova mit Hilfe eines Figurentheaterprofis im Kosovo schuf, dürfen angefasst und bewegt werden. Falls sich jemand traut …
Tatsächlich ist es eine Art Verlegenheit, in die Puppen menschliche Betrachter versetzen können. Eine Einschüchterung. Damit spielt das belgische Künstlerduo Jos de Gruyter & Harald Thys schon seit Jahrzehnten. Aus der „Mondo Cane“ (Hundswelt) der beiden kommen ziemlich furchterregende Typen: der lebensgroße Pizzabäcker „Sateri“, der ununterbrochen den Teig ausrollt und dabei aus schwarzen Augen starrt, sowie ein ausgestopfter Bauchredner namens Rocco Swenty, der wiederum selbst eine singende Puppe hat.
Lutzi Puppe Wutzi
Reglos hockt „Lutzi Puppe Wutzi“ auf einer Schulbank: ein bärtiger Mann im Spitzenkleid. Der in Düsseldorf lebende Pole Mikolaj Sobczak nutzt die Figur auch für Performances und erinnert damit an Sisis Schwager, Erzherzog Ludwig Viktor von Österreich, genannt Luziwuzi, der wegen seiner allzu offen gelebten queeren Neigungen vom Hof verbannt wurde. Wäre er heute ein Society-Star? Nun, die Königshäuser sind noch immer nicht bekannt für ihre Toleranz.
Können Puppen etwa das Denken schärfen? Manche Werke weisen daraufhin, wie zum Beispiel die aus dem Kunstmuseum Krefeld entliehene, titelgebende Rauminstallation „Cutting the Puppeteer’s Strings“ der Tschechin Eva Kot’átková. Die Köpfe ihrer Puppen stecken hinter Gittern. Sie hängen an ihren Fäden, doch sie könnten sich befreien, denn da gibt es auch Scheren und Sägen.
Archiv der Sorgen
Die Belebung des Leblosen betrieb Günter Weseler (1930-2020) schon im vorigen Jahrhundert sehr erfolgreich. Seine „Atemobjekte“ aus struppigen Fellen lagen oder hingen in den Ecken von Kunsthallen und wurden garantiert nicht übersehen. Sechs Exemplare einer „New Species“ baumeln nun in Vogelkäfigen an der Decke, haben weder Gliedmaßen noch Gesichter und atmen doch zart und deutlich vor sich hin. Beunruhigend. Das kann man auch von den fünf Raben sagen, die auf schwarzen Müllsäcken hocken und, perfekt animiert, die von Schauspielern gesprochenen Klagen ganz normaler Leute in die Welt setzen. Das Künstlerduo Alberta Niemann und Jenny Kropp alias FORT hat das „Archiv der Sorgen“ angelegt und inszeniert.
Es geht um Eitelkeit, Ungleichheit, Verlust, Diskriminierung, Klimakatastrophe, blöde Eltern, missratene Kinder. Man hört es deutlich – und denkt sofort an seine eigenen Sorgen. Zugleich zeigen uns die Raben, dass in dieser Gesellschaft zu viel gejammert wird. Dabei sollte man sich freuen über eine freie, kritische und lustvolle Kunst. Zu entdecken sind auch noch Trickfilme wie von der Amerikanerin Kara Walker, die mit Scherenschnitten gegen Rassismus kämpft, oder dem Ägypter Wael Shawky, der mit Marionetten aus Murano-Glas den Irrsinn der Kreuzzüge nachspielt. Ganz schön weise, das Puppenspiel …
Was, wann und wo?
Die Ausstellung „Cutting the Puppeteer’s Strings“ mit Werken von über 30 Künstler*innen in der Düsseldorfer Sammlung Philara, Birkenstr. 47a, wird am Sonntag, 20. Oktober, von 14 bis 18 Uhr eröffnet und ist dann bis zum 1. Juni 2025 zu sehen. Öffnungszeiten der privaten Kunsthalle jeweils Fr. 16 bis 20 Uhr und Sa./So. 14 bis 18 Uhr. Der Eintritt ist frei, Spenden sind willkommen. Führungen gibt es samstags und sonntags jeweils 15 Uhr. Um Anmeldung wird gebeten unter „advance reservation“, www.philara.de