Lockdown, Schmerz und Liebe: „The Drop“ im Central Düsseldorf

Erfolgreich verdrängt haben wir die große Seuche: das Maskentheater, die Abstandsregeln, den Lockdown, die Furcht vor Ansteckung. Für die meisten älteren Erwachsenen ist die Corona-Zeit nur noch eine verrückte Episode. Junge Leute, die in ihren Entwicklungsjahren eingesperrt waren, haben hingegen ihre Unbefangenheit verloren. Viele schleppen bis heute Ängste und Depressionen mit sich herum. Endlich gibt es ein Stück zu diesem Thema. „The Drop“ von Lutz Hübner und Sarah Nemitz wurde im Düsseldorfer Central uraufgeführt. Voller Schmerz, Liebe, Hoffnung und toller Musik. Absolut sehenswert.
Schwerer Atem aus Lautsprechern, Splittergeräusche, Sirenen. Der Benny, ein netter Junge, Typ Riesenbaby (Felix Werner-Tutschku), ist ausgerastet. In der Disco hat er plötzlich um mich sich geschlagen, mit bloßen Händen die Fenster und Geräte zertrümmert. Jetzt liegt er nach einem herzstoppenden Stromschlag im Koma. Ob er wieder aufwacht, ist fraglich. Die verstörten Freunde warten auf ein Wunder. Auch in Benny geht etwas vor, das gespielt wird: Fragen, Gefühle, Erinnerungen. Das Stück zeigt die Realität und zugleich eine innere Welt, wo zwei „Player“ den Ton angeben.
Himmelsgäste
Wer sind diese Gestalten, ein Mann und eine Frau in weißen Gewändern? Sie schieben Klinikbetten umher wie fleißige Pfleger. Aber sie wirken doch eher wie Engel, Boten an der Schwelle zwischen Leben und Tod. Ihre Stimmen, geliehen aus der Rheinoper, sind jedenfalls von himmlischer Güte. Die junge ukrainische Mezzosopranistin Katya Semenisty und der englische Tenor Henry Ross singen Schwebendes zwischen Barock und Pop, zitieren Schuberts Winterreise („Und ich wandre sonder Maßen …“) und den britischen Rapper Ren mit seinen „Freckled Angels“. Arrangiert von Matts Johan Leenders, zum Weinen schön.

Die Pandemie verfolgt sie immer noch (vorne, von links): Kayra, Luise, Joe, Benny und Eleni (Eva Maria Schindele, Hannah Joe Huberty, Cem Bingöl, Felix Werner-Tutschku, Ayla Pechtl). Geleitet werden sie von zwei himmlisch singenden Wesen: Henry Ross, Katya Semenisty. Foto: David Baltzer, Schauspielhaus Düsseldorf
Regisseurin Liesbeth Coltof führt die hohe Muse und die krasse Jugendkultur mühelos zusammen. Die Szene ist immer in Bewegung. Und plötzlich sind wir mitten in der Pandemie, als Teenager heimlich aus dem Haus schlichen, um irgendwo im Park bei nächtlichen Raves zu tanzen und sich auszutoben. So haben sich die Helden der Geschichte kennengelernt und „The Drop“ erlebt, den Moment, wenn die Musik so ganz den Körper durchflutet.
Befreiungslied
Joe (Cem Bingöl) war der DJ, der die Raves zum Schwingen brachte. Noch immer träumt er von einer Welttournee, der großen Karriere. Doch er stapelt Kisten im Getränkemarkt. Joe fühlt sich schuldig, weil er seinen Kumpel Benny in der Disco nicht gebremst hat. Die Beziehung zur Einser-Abiturientin Kayra (Eva Maria Schindele) schwächelt. Kayra kann mit dem Unberechenbaren nicht umgehen. Erst ein Lied, das die Player sie singen lassen, gibt ihr ein Stück Freiheit.
Auch Hannah Joe Huberty als krasse Luise im Pink-Look ist nur oberflächlich frech. In Wahrheit steckt sie voller Angst und fühlt sich isoliert wie während der Pandemie, als man die Kreidekreise auf dem Schulhof nicht verlassen durfte. Dabei wird Luise geliebt, besonders von Bennys bester Freundin Eleni (Ayla Pechtl), die nicht studieren, sondern Schreinerin werden will. Nagende Selbstzweifel hindern Eleni allerdings, den ersten Schritt zu tun. Nur gut, dass es die Player gibt, die den jungen Helden, ein bisschen wie die Geister der Weihnacht bei Charles Dickens, den Weg des Herzens zeigen.
Weitere Vorstellungen
„The Drop“ von Lutz Hübner und Sarah Nemitz, ein musikalisches Stück über Jugend, Aufbruch und große Träume, wird vom Jungen Schauspiel Düsseldorf im Central an der Worringerstr. 140 gezeigt. Die nächsten Vorstellungen sind am Dienstag, 9. Dezember, und Freitag, 19. Dezember, um 11 Uhr sowie am Samstag, 20. Dezember, um 19 Uhr. Weitere Termine Ende Januar. www.dhaus.de