Alles nur KI? „Der Fall McNeal“ am Schauspielhaus Düsseldorf

Verdammt, die Zukunft ist da. Schon heute kann man nicht genau wissen: Ist diese Theaterkritik von einer selbst schreibenden Journalistin verfasst? Oder von einer Künstlichen Intelligenz im Stil jener Journalistin? Aus digital gespeicherten Quellen kann die automatische Kreativität eiskalt etwas Neues erschaffen: Bilder, Pläne, Texte. Mit unabsehbaren Folgen für Kunst und Wissenschaft. Wo bleibt die Leistung des Individuums? Lohnt sich noch die Mühe? Im Kleinen Haus verstärkt jetzt „Der Fall McNeal“ von Ayad Akhtar die moralische Verwirrung.
Hauptfigur ist ein fiktiver amerikanischer Schriftsteller namens Jacob McNeal. Egomane, Weiberheld, Waffennarr, Trinker (ja, wie Hemingway). McNeals Bücher zieren jeden Bücherschrank, nun winkt ihm die höchste Ehre, der Nobelpreis. Doch ihm geht es schlecht, nicht nur die Leber streikt. Auch die Fähigkeit, Geschichten zu erfinden, ist ihm verloren gegangen. Ausgebrannt. Trotzdem hat McNeal seiner Agentin (Friederike Wagner) einen neuen Roman überreicht, der eine Sensation zu werden verspricht. „Evie“, die Geschichte einer starken und doch unglücklichen Heldin, aus weiblicher Sicht erzählt.
Alles nur geklaut
Man ahnt es schon: Die Story ist geklaut. Und zwar von McNeals Ehefrau, die sich vor Jahren umgebracht hat. Wie sich herausstellt, hat der große Autor die Tagebücher und ein Manuskript der Verstorbenen benutzt, den Computer mit den Texten gefüttert und daraus mit Hilfe von ChatGPT ein Buch im McNealschen Sprachstil gemacht. Sein von mütterlichem Missbrauch und väterlicher Verachtung traumatisierter Sohn Harlan weiß Bescheid und schreit in kindlicher Wut (Moritz Klaus).
Auch eine junge Kulturjournalistin von der New York Times (souverän: Fnot Taddese) kommt der Sache auf die Spur. Aber halt! Ist das Leben und Sterben der Anderen nicht immer schon der Stoff für Literatur gewesen? Auch eine kühle Ex-Geliebte (Claudia Hübbecker) entlarvt McNeal als „Plünderer“. Er habe intimes Wissen über sie in mehreren Büchern verwertet: „Du hast mir Gewalt angetan.“ Dichterische Freiheit? Notwendige Grausamkeit?

Die Welt als Computerprogramm: Das Bühnenbild im “Fall McNeal” erinnert an einen flackernden Monitor. Foto: Thomas Rabsch / Düsseldorfer Schauspielhaus
Kollege Computer
Selbst, wenn das Schicksalsplündern akzeptiert wird, bleibt da noch die Gretchen-Frage der Gegenwart: Wie hast du’s mit der Künstlichen Intelligenz? Ist es überhaupt verwerflich, die neue Digitalpower einzusetzen? Das junge Team des Schauspielhauses – Regisseur Philipp Rosendahl, Bühnenbildnerin Mara-Madeleine Pieler und Sounddesigner Tom Gatza – gibt im Programmheft unumwunden zu, mit KI die Effizienz der eigenen Arbeit gesteigert zu haben. Man habe „die KI bewusst in die Proben geholt“.
So sieht die Inszenierung dann auch aus. Es gibt kein amerikanisch realistisches Bühnenbild, kein Kaminzimmer mit Bibliothek, nichts Vertrautes, sondern ein spiralförmiges Podest in einem grauen leeren Raum. Der wird durchkreuzt von projizierten Rastern, flackernden Lichtern und endlosen Computerschriften: Fragen, Anweisungen – was so in die Tastatur gehackt oder eingesprochen wird.

Roboterhaft erscheinen am Ende die Frauen (von links): Friedrike Wagner, Pauline Kästner, Fnot Taddese. Foto: Thomas Rabsch / Düsseldorfer Schauspielhaus.
In der Matrix
Schließlich bewegen sich die Mitwirkenden in ihren merkwürdig „retro-futuristischen“ Kostümen so abgehackt, als seien sie Roboter in einem altmodischen Science-Fiction-Film. Mit einem shakespearehaften Monolog, tatsächlich von der KI generiert, geht „Der Fall McNeal“ zu Ende. Und keiner weiß: Sind die Personen überhaupt echt? Stecken wir alle in einer Matrix? Keine ganz neue Idee …
Ausgerechnet der Bösewicht kommt in dieser Inszenierung am menschlichsten daher. Thiemo Schwarz, ein Bär von der sensiblen Sorte, gibt dem McNeal lebendige Verzweiflung. Er atmet schwer, ringt spürbar um Fassung. Die Rolle, am Broadway von Hollywoodstar Robert Downey jr. („Ironman“) und in Wien von Joachim Meyerhoff (selbst Bestseller-Autor) verkörpert, ist ganz großes Kino. Eine Verfilmung des Falls McNeal wird’s gewiss auch bald geben.
Weitere Vorstellungen
„Der Fall McNeal“ von Ayad Akhtar, übersetzt von Daniel Kehlmann, wurde von Philipp Rosendahl für Düsseldorf inszeniert. Die nächsten Vorstellungen im Kleinen Haus (zwei Stunden ohne Pause) sind am 16., 24. und 27. September sowie am 5., 16. und 24. Oktober. www.dhaus.de