Immer mit der Ruhe: „Die Große“ in Düsseldorf zeigt keine Aufregerkunst

Die Qual der Wahl gehört zum Spiel. An die 1300 Künstler*innen aus dem ganzen Land NRW hatten sich in diesem Jahr wieder hoffnungsvoll für „Die Große“ beworben. 177 wurden von der Jury ausgesucht. Hinzu kommen ehemalige Preisträger und jüngst verstorbene Mitglieder des Düsseldorfer Vereins zur Veranstaltung von Kunstausstellungen. Insgesamt 350 Werke von 185 Beteiligten sind in den nächsten fünf Wochen am Ehrenhof zu entdecken – plus 300 „kleine Formate“ für spontan entschlossenes Sammlervolk. Uff! Man braucht schon Geduld und ein paar Stündchen Zeit, um das alles zu würdigen.

Vielfalt wagen: Vor einer Wand mit dem „Kleinen Format“ präsentiert Ausstellungsleiter Emmanuel Mir sein Konzept. Foto: bikö
Emmanuel Mir, promovierter Kunstwissenschaftler und seit 2024 neuer Chef der „Großen“, hofft auf muntere Geschäfte. Denn bei der „Großen“ geht es nicht nur um die Ehre, sondern auch um die Existenz. Jedes Werk ist verkäuflich wie in einer Galerie. Und der Verein kassiert mit – stolze 40 Prozent. Die Kosten der Veranstaltung von 350 000 Euro müssen trotz städtischem Zuschuss und der Gastfreundschaft des Museums größtenteils erwirtschaftet werden. Sonst ist irgendwann Schluss, warnt der Chef. Von Aufregung ist in den weiten weißen Hallen allerdings nichts zu spüren. Die ausgewählte, luftig verteilte Kunst verbreitet Seelenruhe. Vielleicht auch ein bisschen Langeweile. Aber auf schöne Art.

Mehr Kunst: Auf beiden Seiten des NRW-Forums lockt die „Große“. Im Eingang des Nordflügels hängt Simon Ertels „Garden of Eve“. Foto: bikö
Für den Salon
Spektakuläre Installationen, Provokationen, wüste Visionen kann man jedenfalls woanders suchen. Dirk Krülls „Momobloc-Box“ draußen auf der Wiese, eine bunte Skulptur aus aufeinander gestapelten Plastikstühlen, gehört noch zu den wildesten Erscheinungen. Zivilisationskritik mit Spaßfaktor. Drinnen, im Erdgeschoss und im zweiten Stock des Kunstpalastes sowie auf beiden Seiten des NRW-Forums ist reichlich Raum für klassische Malerei und Fotografie. Bürgerliche Salonkunst statt anstrengender Videos. Auffällig viel Figuratives ist im Angebot, Häuser und Landschaften, dazu Abstraktion der meditativen Art.

„Die Große“ macht sich auch draußen bemerkbar: Auf der Wiese am Ehrenhof steht eine Stapelstuhl-Skulptur von Dirk Krüll: „Monobloc-Box“. Foto: bikö
Für jeden Geschmack gibt’s was im „Kleinen Format“ für bis zu 1000 Euro, gleich am Eingang: Blumen und Vöglein, schimmernde Seestücke, aber auch Kuriositäten wie die geschnitzte Banane im Stahlträger von Christoph Platz. Eine Schau für sich, aber das ist erst der Anfang. Die Fotografie einer jungen Frau mit abgewandtem Kopf von Katharina Mayer („Séance Fee“) verweist in die Säle, wo zum Beispiel Sophie Meuresch eine sitzende „Astrid“ in sieben Variationen präsentiert und Lucia Sotnikova mit einem Puppenauge aus „Berlin“ offenbar auf die berühmten „Tränen“ von Man Ray verweist.

Blick in den Saal: Eine „Séance Fee“ von Katharina Mayer eröffnet den Reigen fotografischer Arbeiten. Foto: bikö
Kuchen in Öl
Vor Selbstporträts der Fotografin Cihan Cakmak in entschlossener Pose hängen federleicht und seidig die „Buchstabenkleider“, die Gabriele Horndasch mit ausgeschnittenen Zeilen aus der Frankfurter Allgemeinen vernäht hat. Am 29. Juni, 11.30 Uhr, wird die Künstlerin ihre Kreationen bei einer Performance tragen. An barocke Stillleben erinnern die fotografischen Arrangements („natura morte“) von Evangelos Koukouwitakis. Neue Malerei gibt es ganz oben im Haus, im zweiten Stock, wo zum Beispiel Klaus Sievers eine „Erdbeerschnitte“ in Öl verewigt hat und Alejandra Baltazares pinkfarbene Acryl-Wolken über einem ziemlich abstrakten „Traumstrand“ schweben lässt. Winzige Überraschungen birgt der „Clark Sickle-Leaf Carpet“, ein Perserteppich, dessen Muster der Kölner Mio Zajac aus unzähligen Emojis nachgebildet und auf Bütten gedruckt hat. Die KI hatte hier sicher ihre Hand im Spiel. Technische Tricks sind ja längst nicht mehr verpönt.

Wilde Keramikkunst: „Visions of Duality“ von Elena Kolbasi. Foto: bikö
Einen kleinen Spaziergang weiter folgt der zweite Teil der Schau. Im NRW-Forum hat Emmanuel Mir für Zartes und Leidenschaftliches gesorgt. Karin Fehr zaubert dreidimensionale Zeichnungen aus feinen Polylactid-Streifen an die Wand („Fenster“, „Riss“). Elena Kolbasina zeigt ihre „Visions of Duality“ an einer wild-witzigen Keramik mit Füßen und Gesichtern. Dahinter leuchten surreale Szenen des in Kansas geborenen Malers und Psychologen Jake Madel.
Paradies am Rhein

Eine moderne Art von Romantik: Birgit Jensen, die den Kunstpreis der Künstler bekam, schafft ihre betörenden Landschafts-Unikate mit Fotografie und Siebdrucktechnik. Foto: bikö
Eine tiefere Betrachtung ist immer schwierig in der Fülle der „Großen“. Besonderes Augenmerk verdient jedoch das Werk von Birgit Jensen (68), die seit 1985 in Düsseldorf lebt und arbeitet und den mit 7500 Euro dotierten Kunstpreis der Künstler bekam. Emmanuel Mir: „Es gab keine lange Diskussion. Sie war dran.“ Jensens betörende, gleichwohl unwirkliche Landschaften entstehen in einem komplizierten Prozess. Sie arbeitet nach fotografischen Vorlagen, die sie verändert und mit Acrylfarben und Rastern durch ein Siebdruck-Verfahren in etwas Malerisches verwandelt. Der „Paradise Beach“, über den eine romantische Wolke zieht, liegt eigentlich am Rhein. In einer „Hallucination“ schimmert Wasser rotgolden unter grauem Himmel statt umgekehrt.

Präsentiert ein Gesamtkunstwerk: Förderpreisträgerin Paula Knaps Loos gestaltet Kacheln, Tapeten und Teppiche für die Wand und den Boden. Foto: bikö
Ganz anders ist die Kunst der jungen Förderpreisträgerin Paula Knaps Loos (34). Ihr Werk soll zum prallen Leben gehören, es darf, es soll sogar nützlich sein. Sie gestaltet Kacheln, Tapeten, Teppiche mit Figuren und Ornamenten, gefunden in alten Magazinen und Naturkundebüchern, übertragen per Holzschnitt, Siebdruck, manchmal mit der Strickmaschine. Wie die Meister von Art Deko und Bauhaus zu Anfang des 20. Jahrhunderts träumt die Akademie-Absolventin vom Gesamtkunstwerk. Man kann sogar einen Schal von Paula Knaps Loos mit dem Titel „Rue Basse-du-Rempart“ an der Kasse kaufen. 250 Euro. Kunst zum Umhängen.

Gastspiel aus Münster: Die Akademie-Klasse von Cornelius Völker (im Bild Christina Buttler und Max von Dorsten) installierte ihre Malerei auf der beim Transport benutzten Knötchenfolie. Foto: bikö
Was, wann und wo?
„Die Große“ Düsseldorfer Kunstausstellung wird am Samstag, 28. Juni, um 18 Uhr im Foyer des Kunstpalastes Düsseldorf eröffnet, erstreckt sich über Kunstpalast und NRW-Forum und ist dann bis zum 3. August im Kunstpalast und im NRW-Forum zu sehen. Geöffnet Di.-So. 11 bis 18 Uhr. Eintritt: regulär 16 Euro. Jeden Do. 18-21 Uhr gibt es eine „Große Soirée“ mit Performances und experimenteller Musik (im Eintritt inbegriffen). Sonntags um 11.55 Uhr ist „Große Matinée“ mit sommerlich-entspanntem Musikprogramm und Talkshows. Alle ausgestellten Werke sind verkäuflich. Der Katalog mit den Preisen kostet 10 Euro. Künstlerführungen können gebucht werden. www.diegrosse.de

Nicht vergessen: Ganz oben in der zweiten Etage des Kunstpalastes gibt es einen weiteren Bereich für „Die Große“. Foto: bikö