Reich der Finsternis: „König Lear“ im Düsseldorfer Schauspielhaus

Die Finsternis hat schon gesiegt. Der Thron im dunklen Saal ist ein schwarzer Turm. Von dort verkündet König Lear, „dass wir das Reich gedrittelt haben“. Er will abtreten, die Macht den Töchtern überlassen und „entbürdet kriechen hin zum Tod“. Mit allem Komfort, versteht sich. Doch in Shakespeares später Tragödie werden die Erwartungen niedergeschmettert. Nach „Macbeth“ und „Richard III.“ inszeniert der kasachische Opernregisseur Evgeny Titov das dritte Königsdrama im Düsseldorfer Schauspielhaus. Mit einem großen alten Mann des deutschsprachigen Theaters: Burghart Klaußner.

Verlockende Finsternis: Valentin Stückl als Edmund vor dem dunklen Thron. Nackt und verflucht. Foto: Thomas Rabsch / Düsseldorfer Schauspielhaus
Titov hat Erbarmen mit dem ungeduldigen Publikum der Gegenwart. Er kürzt die anstrengende Vorlage wieder radikal auf Spielfilmlänge. Gerade mal eindreiviertel Stunden dauert sein „Lear“. Heerscharen von Figuren, die Ehemänner der Töchter und die zweite Hauptfigur, Graf Gloucester wurden gestrichen. Einzig Gloucesters unehelicher Sohn Edmund lässt die beachtlichen Muskeln (von Valentin Stückl) spielen und turtelt gleich mit mehreren beteiligten Frauen. Die komplizierten Zusammenhänge der Original-Story gehen dadurch verloren. „Ich weiß gar nicht recht, wo ich hier bin“, könnte man mit dem umherirrenden König seufzen. Aber die Kürze hat man gerne in der stickigen Luft des ausverkauften Theaters. Und dankbar wird registriert, was Titov im Programmheft verkündet: „Der Regisseur ist derjenige, der das Wesentliche sieht.“
Der Liebestest
Und das Wesentliche ist natürlich Lear, „ein blöder alter Mann, der immer noch die Macht ausüben will, die er verschenkt hat“. Dankbarkeit und Hingabe will er dafür haben. Aber solche Irrtümer kennt der Mensch ja auch aus dem bürgerlichen Leben. Wie alle Oberchefs gewöhnt an eifrigen Zuspruch, knüpft der König zu Anfang einen Test an die Aufteilung des Erbes. Die Tochter, die ihn am meisten liebt, soll das beste Stück des Landes haben. Goneril und Regan (Jenny Schily und Friederike Wagner), seltsam steife elisabethanische Gestalten in tellergroßen Röcken, überbieten sich in Schmeicheleien. Ausgerechnet sein bevorzugtes Kind Cordelia (Jule Schuck) hält sich zurück, will nicht „ölig glatt“ reden, sagt nur: „Ich liebe Euer Hoheit nach meiner Schuldigkeit.“

Erstarrt in ihrem Machtspiel: die bösen Königstöchter Megan (links, Friederike Wagner) und Goneril (Jenny Schily). Foto: Thomas Rabsch / Düsseldorfer Schauspielhaus
Das genügt nicht, der aufbrausende Vater verstößt sie: „Besser, du wärst nicht geboren!“ Die Wahrheit aus dem Mund seines treuen Beraters Kent (Manuela Alphons in tapferer Haltung) will er nicht hören: „Du tust übel!“ Zu spät erkennt Lear, dass Cordelias garstige Schwestern ihn, den Rentnermonarchen, keineswegs verwöhnen, sondern loswerden wollen. Bald landet er draußen im Sturm, der allerdings nicht bläst auf Titovs von Etienne Pluss ausgestatteten Bühne. Und statt auf dem Schlachtfeld und im Kerker wie im Original landet der Alte auf einer Müllhalde, wärmt sich die Hände an einer brennenden Tonne, bettet sich auf Lumpen.
Narrenspiele
Sein Verstand verabschiedet sich. Doch er tobt nicht wie viele Lears vor ihm, Klaußner bleibt in der Rolle vorwiegend ruhig. Schmerzlich nahe an einem dementen Greis, der in langen Unterhosen durch die Flure eines Pflegeheims tappt, stellt er fest: „Ich bin ein närrisch blöder alter Mann.“ Die Welt ging ihm verloren. Kommt in den besten Kreisen vor. Nur der hyperaktive Hofnarr (Anne Müller) umschwirrt den König noch wie die Personifizierung seiner Verwirrtheit, tanzt, schlägt mit den Armen wie mit Flügeln, verursacht unheimliche Schattenspiele an der Wand.

Das Lear-Ensemble beim Premierenapplaus (von links): Jenny Schily, Friederike Wagner, Anne Müller, Burghart Klaußner, Jule Schuck, Manuela Alphons, Valentin Stückl. Foto: bikö
Das Ende ist nah. Jule Schuck, ganz ohne ihre höfische Ausstattung und ohne weitere Erklärung, erscheint als Tochter Cordelia und schenkt dem Alten letzte Zuwendung. Da Rollen zusammengelegt wurden, muss Schuck zuvor noch einen verrückten, kreischenden, zappelnden Obdachlosen geben, denn der „unaufgeschmückte Mensch“, sagt uns Shakespeare, „ist nicht mehr als so ein armes, nacktes, zweibeiniges Tier“. Die bösen Schwestern trinken Gift und reißen einander die Augen aus, der Buhle Edmund hockt da in seinem Blute, alle sind hin. Bedrückt schleicht man nach Haus. Gutes Theater muss ja nicht glücklich machen.
Die nächsten Vorstellungen
„König Lear“ von William Shakespeare in einer Übersetzung von Frank Günther wurde von Evgeny Titov im Großen Haus des Düsseldorfer Schauspielhauses inszeniert. Die nächsten Vorstellungen sind am 6. und 28. Februar sowie am 9. und 20. März. Infos und Tickets unter www.dhaus.de