Rock den Molière: „Menschenfeind“ im Schauspielhaus Düsseldorf

Man muss es dem Intendanten lassen: Wilfried Schulz, selbst ein distinguierter älterer Herr im blauen Anzug, hat nachwachsenden Kräften freien Lauf gelassen und das Publikum des Düsseldorfer Schauspielhauses deutlich verjüngt. Keine Premiere ohne jubelnde Fankurve. Langeweile ist ja auch nur selten zu erwarten. Sogar ein strapazierter Klassiker wie Molières „Menschenfeind“ wird neu gerockt. Der Berliner Sebastian Baumgarten (56, jung im Geiste) inszenierte die Komödie in der immer noch spritzigen Fassung von Botho Strauß als turbulente Gruftie-Show. Knackig kurz, mit E-Gitarre und ein paar Düsseldorfer Extra-Gags.
Vor Beginn wird die Weltlage übertüncht. Das Ensemble, in Arbeiterkluft, schwingt Pinsel und Rollen und markiert den Anstrich der Bühnenwand in Neongelb. Alles leuchtet hell, aber die Realität in Form von Kriegsszenen und einem schwitzenden Totenschädel wird immer wieder mal in Projektionen sichtbar (Bühne: Thilo Reuther). Ganz gleich, was passiert, die Society macht Party, zuckende Umrisse zeigen den ewigen Tanz. Das ist heute nicht anders als zu Zeiten von Molière, dem Pariser Theatermacher und führenden Hofnarren, der die Gunst des Sonnenkönigs Ludwig XIV. genoss und seinen „Misanthrope“ bei der Uraufführung 1666 selber spielte.

Zwei aus einer wild maskierten Truppe: Heiko Raulin spielt Alcestes wohlmeinenden Freund Philinte, Caroline Cousin die Gesellschaftsdame Éliante. Foto: Thomas Rabsch / Schauspielhaus Düsseldorf
Mutiger Auftritt
Der Auftritt war ziemlich mutig. Denn der sogenannte Menschenfeind Alceste ist eigentlich nur ein Verfechter der Ehrlichkeit. „Unrecht, Gier, Verrat, Betrug“ sieht er in der Gesellschaft triumphieren, während die Konventionen im Umgang miteinander eine „unsinnige Schmeichelei“ verlangen. Das gilt bedauerlicherweise für die Gegenwart genauso wie einst für den Hof in Versailles – man nennt es diplomatisches Verhalten. Alceste lehnt auch Lügen aus Höflichkeit ab, was ihm Ärger einbringt. Ein gekränkter Dichter, für dessen überschwängliche Liebeslyrik er nur Hohn übrig hat, zerrt ihn sogar vor Gericht.
Ein Außenseiter ist Alceste, doch er sieht nicht so aus. Kostümbildnerin Tabea Braun hat ihm wie allen anderen Adeligen einen schwarzen Heavy-Metal-Look verpasst, mit Lack und Leder, flatternden Mänteln, jecken Hüten und Smokey-Eyes. Hebt sich gut gegen die gelbe Wand ab und ist vielleicht einfach eine aktuelle Spielart der modischen Überdrehtheit, die an barocken Höfen zelebriert wurde. Claudius Steffens als Alceste zeigt den Verhältnissen sogar eine schwarze Zunge. Aber er wird nie zu clownesk in seinem Spiel. Man glaubt ihm die zutiefst moralische, zuweilen überhebliche Absicht.

Der “Menschenfeind” und seine fatale Geliebte: Claudius Steffens in der Titelrolle und Minna Wündrich als lustige Witwe Célimène in der Düsseldorfer Molière-Inszenierung. Foto: Thomas Rabsch / Schauspielhaus Düsseldorf
Teuflischer Charme
Dummerweise liebt Molières Wahrheitsheld ausgerechnet eine Frau, die so gar nicht seinem Idealbild entspricht: Célimène, eine umschwärmte junge Witwe, amüsiert sich gern mit dem doppelzüngigen Gesellschaftsspiel. Die temperamentvolle Minna Wündrich, nach der Geburt ihrer Tochter wieder in Topform, gibt der Rolle teuflischen Charme. Genussvoll lästert ihre Célimène über Abwesende und lässt sich von Anwesenden umgarnen, während Jovan Stojšin mit seiner Gitarre für den vorwärtstreibenden Sound sorgt.
Es wird getanzt, gequasselt und sogar ein bisschen gesungen („Mon Misanthrope“). Aber als es ernst wird mit Alceste, fehlen Célimène die Worte. Sie schnarrt, blubbert und jault so virtuos, dass Beatboxer neidisch werden könnten. Die Botschaft ist dennoch klar: Sie wird ihren Menschenfeind nicht begleiten, wenn er sich auf der Flucht vor der Heuchelei „ins Sauerland“ (kleiner Scherz) zurückzieht. Nach nicht einmal anderthalb Stunden ist Schluss, und ein bestens gelauntes Publikum spendet herzlichen Applaus.
Weitere Vorstellungen:
„Der Menschenfeind“, Komödie von Molière in einer Fassung von Botho Strauß wurde von Sebastian Baumgarten für das Große Haus inszeniert. Die nächsten Vorstellungen sind am 30. Oktober, 21. November und 18. Dezember, jeweils 19.30 Uhr. Aufführungsdauer: Anderthalb Stunden ohne Pause. www.dhaus.de