Düsseldorf Gerresheim: Ein König für die JAA

Für die fünf Poetry Slamer*innen und ihren Spiritus Rector Rolf Suter war es am Sonntag (5.10.) nicht kompliziert, in die Jugendarrestanstalt (JAA) in Gerresheim zu kommen. Sie kamen auf Einladung von Gabriele Kuhn, der Vollzugsleiterin der JAA, um den Arrestanten eine neue Welt und eventuell neue persönliche Perspektiven zu eröffnen. „Mit Sprache kann man die Jungs gut packen. Sie haben Respekt vor Leuten, die authentisch über eigene Erfahrungen berichten. Dafür haben sie empfindliche Antennen“, erklärte Christian Wolff. „Für die Jungs war es etwas komplett Neues. Keiner hatte zuvor einen Poetry Slam gesehen.“

Christian Wolff, Gabriele Kuhn und Rolf Suter freuten sich über die positive Resonanz bei den Arrestanten
Wolff ist Justizvollzugsbeamter und baute in der JAA baute ab 2020 die Bibliothek auf. Er ist für die politische Bildung der Arrestanten zuständig, hat bereits mit „den Jungs“ Hörspiele produziert, leitet die Schreibwerkstätten mit Jugendbuchautoren sowie Spiele- und Lesegruppen. Außerdem verantwortet er ein Stolpersteinprojekt gegen Antisemitismus und Fremdenhass – und nun auch den Poetry-Slam.
Der Verein Landkulturschaffende Südwest hatte Kontakt zur JAA aufgenommen und das Angebot gemacht. Kuhn und Wolff griffen direkt zu. Seit zweieinhalb Jahren touren die Kulturschaffenden unter der Regie und Moderation von Rolf Suter mit ihren Veranstaltungen auch durch Kliniken und Gefängnisse.

Richie Minus Eins
Ein Poetry Slam ist ein Dichter-Wettstreit, bei dem die Poet*innen bis zu sieben Minuten lange eigene Texte vortragen. Das Ziel ist, zum Nachdenken anzuregen und anhand der Texte mit dem Publikum in den Dialog zu gehen. Alle fünf Slam Poeten*innen wurden am Sonntagnachmittag anhand ihres Vortrags, der Qualität des Textes und der Darbietung beurteilt. Jury waren zehn Arrestanten sowie ehrenamtliche und hauptamtliche Mitarbeiter*innen der JAA. Bei der Bewertung spielten auch die eigenen Erfahrungen der jungen Männer eine Rolle, die die JAA nicht jeden Abend verlassen dürfen. „Es war gut, das Fatih Serbest als erster aufgetreten ist. Er hat die Arrestanten direkt abgeholt und mitgenommen, weil er in seinem ersten Text über Drogenprobleme gesprochen hat“, so Wolff. „Aber auch alle anderen Slammer haben in ihren Texten hohe Qualität, Tiefgang und jede Menge Autobiografische verarbeitet.“

Slamer Julian Spiegelhauer
So wurde von Liebe, von der Partnersuche, von Selbstdarstellung im Internet, von der Blödsinnigkeit der Ballerman-/Mallorca-Hits, von gedanklicher Freiheit und von Intoleranz geslamt.
„Sie sprechen von Freiheit und freier Entfaltung, von eigener Meinung und freier Gestaltung. Sie sprechen von Mut und Eigenverantwortung. Von einem Leben in dem Geben besser ist als nehmen. Sie erzählen Geschichten über Erkenntnis und Weisheit, von verschiedenen Kulturen bis zur völligen Einheit: doch bereit ist nicht jeder für diese Wahrheit. Viele Augen leiden unter völliger Blindheit“, trug beispielsweise Fatih Serbest vor, der sich mit solchen und ähnlichen Zeilen zum ersten „König der JAA“ krönte.

Fatih Serbest
„Wir wissen nicht genau, was bei den Jungs zündet, wie wir erreichen können, dass sie ihre Lebens-, ihre Freizeitgestaltung ändern“, erklärte Kuhn. „Aber ich habe den Eindruck, dass die Texte die Jungs erreicht haben, dass die Vorträge sie beschäftigen und Wirkung entfalten.“
Klar ist, dass sich die Gesprächsbasis zwischen der Vollzugsleiterin, den Vollzugsbeamten und den Arrestanten verändert hat. „Wir haben nach dem Slam ganz andere Gespräche geführt als die, wenn die Jungs in meinem Büro vor dem Schreibtisch sitzen“, so die Vollzugsleiterin. „Die Gesprächsbasis hat sich verschoben. Wir konnten über gemeinsam Erlebtes reden.“

Ein besonderer Veranstaltungsort für den Poetry Slam, der vom Verein Landkulturschaffende Südwest veranstaltet wurde
Die Hoffnung ist jedenfalls da, dass einige der jungen Männer sich ein Beispiel nehmen und sich demnächst phantasievoll-realistischen Texten widmen. „Mit Sprache, mit Geschichten, kann man sich gedanklich aus dem Knast entfernen und wieder zurückkommen. Es gibt keine vorgefertigten Bilder“, erläuterte Wolff. „Die Rückmeldungen von allen sind positiv.“ Eine Wiederholung des Poetry Slams ist bereits angedacht.