Aufgeblüht! Sommerrundgang in der Akademie Düsseldorf

Die Kunst hat neuen Mut gefasst. Nach dem Stillstand der Corona-Zeit und einer nachfolgenden Zaghaftigkeit ist es wieder eine Lust, beim traditionellen Sommerrundgang durch die Klassen der Düsseldorfer Akademie nach Talenten zu suchen. Besonders die jungen Frauen zeigen dem Publikum, dass Malerei und Skulptur immer noch einen Raum prägen können – voller Sinnenfreude und Einfühlsamkeit, unbeeindruckt vom Chaos der Welt und den ewigen Ablenkungen der digitalen Spielwiesen. Hinsehen! Ins Gespräch kommen! Bis Sonntag!

Durchsichtige Zeichnung an altem Fensterbogen: Die Installation „Nächtliche Spiele“ von Julia Schade im dritten Stock der Akademie. Foto: bikö
Heute fangen wir mal ganz oben an, wo sonst, nach stundenlangem Rundgang in den unteren Etagen, schon die Aufmerksamkeit erschlafft und manche Entdeckung verpasst wird. Der Aufzug bringt uns gleich in die dritte Etage zur Solo-Schau von Julia Schade aus der Klasse von Yesim Akdeniz. Eine subtil poetische Szenerie. Mit Farbstift und Schellack zeichnet die Malerin surreale Szenen, die sie in Objekte einfügt. „Nächtliche Spiele“ einer Domina im Dirndl mit einem maskierten, eingewickelten Männlein unter dem Mond hängen zart und durchsichtig am Rand eines alten verschnörkelten Fensterbogens, der mitten im Saale steht. Die Künstlerin selbst ist gerade nicht da, sie hat ihre Jacke und ein aufgeschlagenes Buch zurückgelassen: Márquez’ „Hundert Jahre Einsamkeit“.
Alles wächst

Eine der starken jungen Künstlerinnen aus der Akademie Düsseldorf: Emma Lokke (Klasse Scheibitz) neben einem ihrer malerischen Großformate. Foto: bikö
Es gibt offenbar eine Sehnsucht nach dem echten, fassbaren, noch nicht von der Künstlichen Intelligenz getricksten Kunstwerk. Der Eindruck bestätigt sich in der zweiten Etage, wo die Klasse von Thomas Scheibitz in Form und Farbe schwelgt. Die prächtigen Großformate von Emma Lokke sind in der letzten Zeit entstanden: „Da war viel los.“ Kunstkarriere, Mutterschaft. Da blüht und treibt und wuchert es auf den Bildern. Pflanzen und haben etwas Menschliches, ein Blütenblatt ähnelt einem Händchen. Aus einer Verknotung entsteht eine Art Schmetterling.

Schnappschüsse sind die Vorlagen für die surrealen Kompositionen von Lucie Gorzolka: „moore / bronze / nebula“. Foto: bikö
Etwas ruhiger und doch genauso frei sind die Kompositionen der Kommilitonin Lucie Gorzolka. Die Scheibitz-Schülerin sammelt ihre Motive mit Kamera und Skizzenbuch und malt daraus monumentale innere Landschaften in Öl. Eine stählerne Wendeltreppe aus der Akademie schwingt unter einem Weidezaun neben zwei Elefantenskulpturen. Woher der kleine Mann mit dem großen Paddel kommt, darf ein Geheimnis bleiben – unter dem Titel „moore / bronze / nebula“. Ganz nah an der Realität arbeitet Rebekka Kümmerer aus der Klasse von Kati Heck. Nur der „Nacken“ von „Jul.“ mit den blonden Locken wurde da mit dem Pinsel erkundet und vergrößert.
Mutig empor

Raumgreifend: Sieben Meter hoch ist die Wandcollage aus Leinwänden und Keramiken, die Hanna Maxi Schumacher geschaffen hat – Hommage an den Rhein. Foto: bikö
Kein Angst vor dem Wachsen haben die jungen Frauen der Akademie. Hanna Maxi Schumacher aus der Klasse von Ellen Gallagher nimmt einen sieben Meter hohen Saal ein mit einem spektakulären Wandrelief: spontane Malerei mit fließenden Farben auf zerknitterten Leinwänden, gehalten von schimmernden Pfützen aus glasierter Keramik. Zwei Wochen lang hat sie gehämmert, gebohrt und gedübelt, um das Prachtwerk zu befestigen. Inspiriert fühlt sich die Düsseldorferin vom Fluss vor der Tür – dem Rhein mit seinen Fluten und Kieselsteinen und all dem, was er mit sich bringt. Bei wechselnden Himmeln. Eine Art Wetterbericht ist der Titel der Installation: „ice-ice-rain & fog & freezing & all cloud over“.

Subtile Rauminstallation: Yaakov Weisskopf Tolstoy verändert immer mal wieder die Position seiner Objekte. Foto: bikö
Für das Zurückhaltende sind derzeit eher die Männer zuständig: Yaakov Weisskopf Tolstoy, ein Israeli aus der Klasse des Belgiers Koenraad Dedobbeleer, hat allerlei melancholische Objekte und Bilder „intuitiv“ im Raum 210 angeordnet. An einem zerrissenen Bild rankt eine Süßkartoffelpflanze, Wasser tropft auf Messingdeckel, aus einem umgestülpten Plastiktier wurde eine Art Gefäß, silberne Bambusstangen markieren die Fläche. Alles, sagt der Künstler, kann sich jederzeit ändern oder vergehen – wie im Leben.
Ein paar Jungs

Kreativer Eingriff: Baukünstler Jan Ribbers hat dem machtbeflissenen Konferenzraum falsche Säulen beigefügt, die keine Stütze sind, sondern über dem Boden schweben. Foto: bikö
„This is the End“, das ist das Ende, orakelt Fabian Ramirez Sandoval aus der Klasse Gallagher schon auf Plakaten im Flur. Und hat im Raum 106 einen „Altar for the End“ gebaut, mit Sonnenblumen und Kerzen vor einer wilden dreiflügeligen Malerei, flankiert von dämonischen Skulpturen. Wirkt aber kein bisschen trist, sondern voller Leidenschaft. Kühl kalkuliert ist hingegen der künstlerische Eingriff im Konferenzraum, dessen herrschaftliche Ästhetik eine Inspiration war für Jan Ribbers aus der Baukunst-Klasse von Inge Vinck. Die 16 thronartigen Ledersessel aus der Zeit der Professorenherrlichkeit stehen stramm um die Tafel aus sechs Tischen. Doch die vier mächtigen Säulen rechts und links sind nicht echt. Sie schweben haltlos über dem Boden und führen die alten Gewissheiten ad absurdum.

Reife Leistung: Die abstrakte Monumentalmalerei von Pia K. Bürkle wirft philosophische Fragen nach Dinglichkeit und Wahrnehmung auf. Foto: bikö
Nicht verpassen darf man in der ersten Etage auch noch ein Maltalent aus der Klasse Scheibitz: Pia K. Bürkle mit ihren monumentalen Abstraktionen, die sie mit philosophischen Fragen nach „stabiler Dinglichkeit und flüchtiger Wahrnehmung“ verbindet. Ganz anders arbeitet Amelie Charlotte Karweick aus der Klasse der Bildhauerin Trisha Donnelly. Sie schneidet, schweißt und hämmert raue Skulpturen aus Metallen, die sie wie hingeworfen auf dem Boden des Raums 119 präsentiert.

Herbe Sache: Die Bildhauerin Amelie Charlotte Karweick arbeitet mit rauen Metallen. Foto: bikö
Raumgefühle
Die letzte Treppe führt hinunter ins Erdgeschoss, wo man gewöhnlich anfängt und jetzt schon ein bisschen müde ist. Aber, aufgepasst: Hier gibt’s auch noch spannende Positionen. Zum Beispiel aus der Klasse von Gregor Schneider, dem Meister des irritierenden Raumgefühls. Während Tobias John mit zersplitterten Wänden und Parkettstücken die Behaglichkeit stört, hat Nils-Simon Fischer seinen Körper vermessen lassen und aus Platten mit den zarten Abformungen ein treppenartiges Mobile in den hohen Saal gehängt – wie eine Himmelsleiter.

Wie eine Himmelsleiter schwebt eine Installation von Nils-Simon Fischer im Raum. Er hat mit seinen Körpermaßen gearbeitet. Foto: bikö
Franziska Sophia Frings aus der Klasse Donnelly hat sich bei den Gipsmodellen der Akademie umgesehen und antwortet auf die herkömmliche Figürlichkeit mit stacheligen Klötzen aus „armen Materialien“ wie Styropor, Pappe, Abgussmasse. Die Donnelly-Schülerinnen verweigern sich konsequent dem weiblichen Harmoniegedanken.

Mit rauen Skulpturen aus „armen Materialien“ reagiert Franziska Sophia Frings auf die akademischen Gipsmodelle im Haus. Foto: bikö
Silja Wendt aus der Klasse von Martin Gostner hingegen hat keine Scheu vor kunsthandwerklichen Vorgängen. Ihre berückend schönen Wand- und Bodenobjekte, die an Mauerfragmente erinnern, sind aus Papier, das sie selbst schöpft oder gießt.

Aus handgeschöpftem Papier schuf Silja Wendt die schwebenden und liegenden Objekte ihrer Rauminstallation. Foto: bikö
Der junge Bildhauer Elija Wagmann aus der Klasse von Thomas Grünfeld hat Spaß an sinnlicher Figürlichkeit. Er formte aus rotem Ton einen Zimmerbrunnen für ein Weinlokal – mit Satyr, Bock, Trauben und wilder Lebenslust.

Sinnenfroh: Den maliziösen Satyrbrunnen hat Elija Wagmann (Klasse Grünfeld) für ein Weinlokal entworfen. Foto: bikö
Was, wann und wo?
Der Sommerundgang in der Kunstakademie Düsseldorf, Eiskellerstr. 1, ist bis Sonntag, 13. Juli, für das Publikum geöffnet. Täglich 10 bis 20 Uhr. Eintritt frei.