Finstere Zeit: Brechts „Johanna“ im Schauspielhaus Düsseldorf

„Die heilige Johanna der Schlachthöfe“ gehört nicht gerade zu den Superstars der Brecht-Literatur. Keine lustige Gangsterstory, keine zündenden Songs zwischen den Moralpredigten. Erst 1959, drei Jahre nach Brechts Tod, 30 Jahre nach der Entstehung, wurde sein erstes großes episches Lehrstück uraufgeführt – in Hamburg, Regie: Gustaf Gründgens. Am Gründgens-Platz in Düsseldorf hat sich jetzt der Schweizer Hausregisseur Roger Vontobel des poetisch formulierten Dramas über die Skrupellosigkeit des Kapitals angenommen. Anstrengend, aber verdammt aktuell.
Vontobel verzichtet allerdings auf eine Verortung in der Gegenwart. Brechts Schauplätze rund um die Schlachthöfe des alten Chicago werden zu einer zeitlosen Hölle, wo es aus grauer Kulisse dampft (Bühnenbild: Olaf Altmann). Auch der Mensch ist dort ein armes Schwein, flutscht durch die Röhre, zappelt in Käfigen, hängt am Haken. Acht einsatzbereite Statisten in rosa Folienhäuten erscheinen als „Das Fleisch“, während „Fleischkönig“ Mauler (charmant zerrissen: Heiko Raulin) einen teuflisch roten Mantel trägt. Doch er will nicht der Böse sein, hat angeblich Mitleid mit dem Schlachtvieh. Wenn nur der Profit nicht wäre …

In der Röhre steckt hier Moritz Klaus als “Makler” Slift, der nur ein Interesse kennt: den Preis hochtreiben. Foto: Thomas Rabsch / Düsseldorfer Schauspielhaus
Blutige Verwirrung
Mit seinen Skrupeln ist Mauler immerhin ansprechbar für die Heldin Johanna Dark, inspiriert von der heiligen Widerstandskämpferin Jeanne d‘Arc. Bei Brecht führt sie als Leutnant die Schwarzen Strohhüte, eine fromme Brigade nach Art der Heilsarmee. Das lässt Vontobel weg. Seine Johanna, gespielt von der kraftvollen und präsenten Caroline Cousin, kommt aus dem Irgendwo, um „in finsterer Zeit blutiger Verwirrung“ den Menschen „noch einmal aufzurichten“. Wer sie ist? Man weiß es nicht. Eine Botschafterin der Humanität? Maulers schlechtes Gewissen? Ein Engel im blutigen Sackgewand?
Hin und wieder bläst sie ein klagendes Saxophon. Sie ist jedenfalls nicht zu überhören, diese Johanna, Anwältin der Arbeiter, die, weil die Nachfrage lahmt, nach taktischen Werksschließungen ausgesperrt wurden. „Wir hungern!“ schreit sie, rockt sie. Der Musiker Keith O‘Brien sorgt von der Seite für einen Soundtrack, der die langen belehrenden Monologe über die Gesetze und Tricks eines moralfernen Marktes dynamisch vorwärts treibt.

Zerquetscht von der eigenen Gier sind die Fleischfabrikanten Cridle (Claudia Hübbecker) und Graham (Sebastian Tessenow). Foto: Thomas Rabsch / Düsseldorfer Schauspielhaus
Clowns des Schreckens
Manchmal wird es auch still, und Johanna versucht mit nahezu zärtlichen Gesten, den schwankenden Chef zu becircen. Doch die Verlockungen der Spekulation sind zu groß. Mit raffinierten Käufen und Verkäufen und geheimen Informationen über Zoll-Entwicklungen (das kennt man heutzutage ja besonders gut) wird Mauler reicher als je zuvor. Er kann am Ende neue Bedingungen diktieren, Stellen streichen, weniger zahlen und das Reform nennen.
Der gierige „Makler“ Slift (Moritz Klaus) treibt für ihn die Preise hoch. Wie die Fleischfabrikanten Cridle und Graham (Claudia Hübbecker und Sebastian Tessenow) ist er mit Halbglatzenperücke und Lackanzug ein schriller Clown des Schreckens in diesem Spiel. Johanna kann gar nicht gewinnen, das Kapital ist übermächtig. Die drohende Gewalt macht ihr Angst, sie bricht zusammen. Denn der Mensch hat keine Chance gegen das Geld. Die Botschaft kommt an. Großer Applaus für Ensemble und Regie.
Nächste Vorstellungen
„Die heilige Johanna der Schlachthöfe“ von Bertolt Brecht und seiner Dramaturgin Elisabeth Hauptmann wurde von Roger Vontobel für das Düsseldorfer Schauspielhaus inszeniert. Die nächsten Vorstellungen im Großen Haus sind am 8. und 27. Mai, am 4. und 21. Juni und am 1. Juli. Tickets und Infos unter www.dhaus.de