Gefühlt in Kapstadt: Düsseldorf begrüßt das Theater der Welt
Da sitzen wir nun im Schauspielhaus, lauter alte weiße Leute, und lassen Diversität vermissen. Das Festival „Theater der Welt“ startet ohne Gäste aus der Welt. Wir haben immer noch Pandemie, schnaufen hinter Masken, halten Abstand. Aber von innen, da wollen wir die ganze Menschheit umarmen. Auch wenn es anstrengend ist. Anders als geplant, durfte das Ensemble der südafrikanischen Handspring Puppet Company nicht nach Düsseldorf reisen, um die Roman-Dramatisierung „Leben und Zeit des Michael K.“ mit den hiesigen Kollegen einzustudieren. Es gab ein Live-Streaming aus dem Baxter Theatre Centre in Kapstadt. Pflichtübung? Von wegen. Es war betörend. Anders. Toll.
Zugegeben, das Vorprogramm musste erst mal überstanden werden. Eine Stunde lang gab es Video-Botschaften von fernen Beteiligten sowie Grußworte von Oberbürgermeister (Stephan Keller), Kulturministerin (Isabel Pfeiffer-Poensgen) und Joachim Lux, dem Präsidenten des Internationalen Theaterinstituts. Zum Glück erwies sich Festivalleiter Stefan Schmidtke als heiterer Moderator. Intendant Wilfried Schulz, immer noch verschattet von einer Rassismus-Debatte, die er nicht verdient hatte, erklärte sehr ernst: „Theater der Welt ist ein Neubeginn.“
Der Held ist ein hölzerner Bengel
Endlich öffnet sich eine große Projektionsfläche, und die Vorstellung beginnt – leicht unscharf manchmal, aber so nah, dass man die Präsenz spürt, und ganz erfüllt ist von dieser Menschengeschichte, deren Held in der Inszenierung von Lara Foot ein hölzerner Bengel ist. Das sieht man selten in dieser Konsequenz. Basil Jones und Adrian Kohler haben die kindgroße Figur des Michael K. geschaffen – ganz pur. Das markant geschnitzte Antlitz mit einer Lippenspalte, die bei dem Knaben Michael nie operiert wurde, ist unbeweglich wie eine Maske und doch lebendig in Licht und Schatten. Denn der dürre Körper aus Rippen und Gliedmaßen wird mit ungeheurer Anmut von zwei bis drei tänzerhaften Männern bewegt, einer davon gibt ihm seine Stimme. Alle geben ihm Seele.
Aus Holz geschnitzt: der Held des Kapstadt-Dramas „Leben und Zeit des Michael K.“, Foto: David Young
Oft heben sie das Kerlchen hoch über ihre Köpfe. Dann steht Michael K. da im Scheinwerferlicht, ein Außenseiter, ein Sonderling. Einer, der die Welt nicht versteht und den Bürgerkrieg, der sich abspielt in seinem Land Südafrika. Ein Fliehender ist er, ein Verlorener, der doch niemals aufgibt. Einer, der ein paar Kürbiskerne hütet wie einen Schatz und davon träumt, die Erde zu beackern. Der (weiße) Nobelpreisträger J. M. Coetzee reüssierte 1983 mit dem Roman über die Odyssee eines bitterarmen und ausgebeuteten Jungen auf der Suche nach seinem bisschen Frieden.
Die Nähe zum fernen Spiel
Man leidet und hofft mit dem halb verhungerten Wanderer. Vergeblich versucht er im ersten Teil, seine alte kranke Mutter (ebenfalls eine dieser magischen Puppen) mit einem selbstgebastelten Karren aufs Land zu bringen, wo sie Heilung erhofft. Doch sie stirbt unterwegs, und er zieht weiter, den Verheißungen hinterher, lässt sich nicht aufhalten von Gewalt und Gefahr. Wechselnde Mitglieder des wunderbaren Ensembles erzählen seine Geschichten auf Englisch, sehr gut verständlich, man schaut kaum auf die deutschen Untertitel. Sie spielen verschiedene Rollen, tragen selbst graue Blöcke als flexible Bauteile durch das schlichte Bühnenbild. Videos in der Projektion schaffen traumverlorene Landschaften.
Das Ende der hochfliegenden Lebensart repräsentieren die Flugzeugteile in der Installation des „raumlaborberlin“ auf dem Gründgens-Platz. Aber das Publikum trinkt dort entspannt einen Pausenwein. Foto: Birgit Kölgen
Die Zuschauer sind gepackt und kehren nach der kurzen Pause gern zurück in den Saal. Am Ende gibt es echten Applaus für das Ensemble in Kapstadt, das sich vor der Kamera verbeugt. Dort sitzt kein Publikum. Es herrscht mal wieder strenger Lockdown in Südafrika. Wir genießen gerade ein Stück Freiheit, dürfen vor dem Haus die Maske abnehmen und vielleicht ein bisschen feiern auf dem Gründgens-Platz, wo die an Flugzeugwrackteile erinnernden Büdchen des Kollektivs „raumlaborberlin“ eher traurig an das Ende der hochfliegenden Lebensart erinnert.
Was, wann und wie?
Noch bis zum 4. Juli feiert Düsseldorf das „Theater der Welt“ mit 24 Produktionen im Schauspielhaus, auf dem Gründgens-Platz, im Central und im Jungen Schauspiel. Dank der Inzidenz-Zahlen unter 35 braucht man keinen negativen Corona-Test mehr, muss aber Masken während der Vorstellungen tragen und Kontaktdaten angeben. Programmbücher und Karten gibt es an der Theaterkasse auf dem Gründgens-Platz, Infos und Tickets auch unter www.theaterderwelt.de