Da blüht was im NRW-Forum: Martin Parrs Fotografien von Düsseldorfer Kleingärten
In meiner Kindheit hatten wir auch mal so ein kleines grünes Reich: einen Schrebergarten. Mit Rheinblick. Eigene Stachelbeeren, einen kletterfesten Apfelbaum, eine muffige Laube. Viel zu rupfen und zu harken, immerzu wuchs einem irgendein Gestrüpp über den Kopf. Als Teenager fand ich das spießig und war froh, dass wir die Verpflichtung irgendwann loswurden. Heute gucke ich manchmal sehnsüchtig auf diese Terrains des Rückzugs. Und ich sehe im NRW-Forum mit Vergnügen die Retrospektive des britischen Fotografen Martin Parr, der serienweise Düsseldorfer Kleingärtner abgelichtet hat.
Liegestühle, Jägerzaun, Gartenporträt: Installation auf grünem Teppich.
Zwei Liegestühle, ein Stück grasgrüner Teppich, ein Kräuter-Bottich, ein Jägerzaun, darüber ein Bild von Ursula und Wolfgang mit Hündchen Lina zwischen ihren Dahlien: Die kleine Installation am Eingang der Schau entlockt den Besuchern bereits ein erstes Schmunzeln. Der Künstler hat Humor. Gleichwohl wollte er nicht, dass die Helden seines Sujets das übliche Familienfoto-Grinsen zeigen. Nein, sie blicken ernst in seine Kamera, wie Honoratioren auf alten Ölporträts. Martin Parr, 1952 in einer Vorstadt von London geboren, Mitglied der Agentur Magnum und einer der renommiertesten Fotografen der Welt, erweist ihnen so seinen Respekt.
Mit Blitzlicht und Humor
Er würdigt „the care and attention“, die Fürsorge und Aufmerksamkeit, mit der diese Menschen ihr Fleckchen Land beackern und prägen. Grundsätzlich nutzt er ein Blitzlicht, um die Szene zu erhellen. Dabei beschönigt er nichts. Er präsentiert, wen und was er vorgefunden hat, was er als typisch empfindet in den Kleingärtnervereinen Stoffeln, Zum Faselbusch, Am Schwarzen Weg, Am Balderberg. Wolfgang mit dem Rauschebart und den Hirschhosenträgern steht da stramm wie seine Sonnenblumen, Petra widmet sich würdevoll ihren Tomaten, Dieter trinkt ein Bier an seiner „Bar“, dem Laubenschrank, über dem ein Deko-Holzschuh hängt und ein Straßenschild: „Königsallee“. Im Kleingarten sind Geschmacksfragen irrelevant.
Refugium mit Ferienflair: Rick und Jessica vor ihrem Gartenhaus.
Parr ist durchaus ein Reporter. Aber er braucht keine Worte. Er erzählt seine Stories mit Bildern. Die Walbecks und die Maiburgs, zwei junge Elternpaare mit ihren Kindern, teilen sich offenbar eine Parzelle und posieren vor ihrem lustigen grüngestrichenen Bauwagen, dem gemeinsamen Refugium. Rick und Jessica haben ein festes Häuschen in ihrem Garten und finden mit den Hunden unter dem Vordach Schutz vor dem Regen und der Außenwelt. In der offenen Tür hängen bunte Plastikbänder wie in einer Taverne am Mittelmeer – ein kleines Feriengefühl.
„Die Welt braucht Klischees“
Und da ist die Familie, deren Oma vermutlich einen Schlaganfall hatte. Jedenfalls ist die ältere Dame rechtsseitig gelähmt und sitzt im Rollstuhl. Aber über der linken Hand trägt sie einen Gummihandschuh und arbeitet unverdrossen an den Blumenkübeln. Der Schrebergarten ist auch Lebenshilfe, erfüllt einen Tag mit Sinn und frischer Luft. Und er bringt oft reiche Ernte. Ganz nebenbei fotografierte Martin Parr ein paar Stillleben mit Äpfeln, Fliegenklatsche, Kohlköpfen. Vor Klischees hat er keine Angst, denn, so Parr: „Die Welt braucht Klischees, weil sie im Allgemeinen wahr sind.“
Er sieht die Realitäten, er macht nichts schöner, als es ist. Doch er mag die Menschen – auch vulgäre Neureiche, die er ablichtete, auch die rot verbrannten Touristen an englischen Stränden, denen er etliche Fotoserien widmete, oder die „Bored Couples“, gelangweilte Paare, die einander bei Tisch oder beim Tanz kaum beachten. Vielleicht sieht es aber auch nur so aus, das bleibt offen. Vorwiegend heiter ist Parrs Blick. Eine Reihe collagierter Selbstporträts hängt da auf gestreifter Tapete, very selbstironisch: des Künstler im Hawaiihemd zwischen Blumensäulen oder wie der Uropa mit Zylinder und Gehstock.
Detailerforschung: Besucher studieren ein Arrangement von Kleingartenszenen.
Das Wetter und die Sorgen
Als junger Fotograf machte Martin Parr noch zurückhaltendere Serien mit starkem Kunstanspruch wie die schwarz-weißen Fotografien zum Thema „Bad weather“ (schlechtes Wetter), die zwischen 1975 und 1982 entstanden sind. Man sieht verhangene Aussichten, Orte im Dunst, nasse, unkenntliche Gestalten mit Kapuzen und Schirmen, ein verirrtes Schaf im Regen. Aber so richtig melancholisch ist das auch nicht, Parr lässt einen Soundtrack mit Regenrauschen und Gewittergrummeln dazu laufen, und er zeigt das Foto eines typisch englischen Kalenderspruchs: „Look on worries like bad weather, unpleasant but not lasting.“ Betrachte Sorgen wie schlechtes Wetter, unangenehm, aber vergänglich!
Gestärkt von britischer Gelassenheit kann man sich hinten durch im NRW-Forum noch selbst gewählte Beispiele aus dem Videokunstarchiv der Stiftung imai ansehen oder oben im ersten Stock eine Reihe von Performances in der Virtual Reality erleben. Es sind immer junge Experten des Kollektivs New Scenario anwesend, die bei der Bedienung der klobigen VR-Brillen behilflich sind. Das bloße Auge sieht nur einen schwarzen Raum – doch die virtuelle Realität kann jede Illusion erschaffen.
Selbstironie: einige der „Autoportraits“ des Fotografen Martin Parr.
Was, wann und wo?
„Martin Parr Retrospektive“: bis 10. November im NRW-Forum Düsseldorf, Ehrenhof 2. Ein hübscher Katalog mit den Fotos der Düsseldorfer „Kleingärtner“, herausgegeben von Kurator Ralph Goertz, kostet 25 Euro. Im 1. Stock gibt es zugleich „Whiteout“, eine Virtual-Reality-Show, bei der man dreidimensionale Performance-Szenen sehen kann. Di.-Do. 11 bis 18 Uhr, Fr. bis 21 Uhr, Sa. 10 bis 21 Uhr. So 10 bis 18 Uhr.
Bis kommenden Sonntag, den 11. August, müssen Besucher im Rahmen eines Forschungsprojekts nur zahlen, was sie möchten: „Pay what you want“.
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