Museum Kunstpalast Düsseldorf: Lyonel Feininger – Was der Amerikaner träumte
Er war ein New Yorker, aufgewachsen in Amerikas himmelsstürmender Metropole. Aber seine Inspiration fand Lyonel Feininger (1871-1956), Sohn eines aus Baden stammenden Geigers, im krisengeschüttelten Europa. Seine Lieblingsmotive, das waren die Türme, Tore und Giebel deutscher Dörfer und Kleinstädte. An den Ufern der Ostsee träumte er den Segelschiffen hinterher. „Zwischen den Welten“ entstanden Grafiken und Aquarelle, die jetzt im Düsseldorfer Museum Kunstpalast zu sehen sind. Aus eigenen Beständen, dem Essener Museum Folkwang und zwei Privatsammlungen stammen die etwa 80 Schätze aus Papier, die Gunda Luzyken, Leiterin der Graphischen Abteilung zusammenstellte. Eine Präsentation, so zart und still wie der rosa Farbton, den die Kuratorin für einige Wände wählte.
Die Realität in Feiningers Wahlheimat Deutschland war alles andere als rosarot. Im Ersten Weltkrieg bekam er als amerikanischer Staatsbürger vorübergehend „Stadtarrest“ in Zehlendorf und musste sich wöchentlich bei der Polizei melden. Den Nazis gelang es 1937 schließlich, den arrivierten Bauhaus-Meister und seine jüdische Frau Julia mit ihrem Hass auf alles Nicht-Heroische endgültig zu vertreiben. Als Fremder kam Feininger zurück in seine Geburtsstadt New York, wo er 1956 starb, ohne Deutschland je wiedergesehen zu haben. Doch innerlich blieb er der alten Welt stets verbunden, seine Kunst und seine Sehnsucht wurden genährt von den „Natur-Notizen“, spontanen Zeichnungen aus ostdeutschen Landschaften, die er mit übers Meer genommen hatte.
Der Holzschnitt Windmühle aus dem Jahr 1919 von Lyonel Feininger, Foto: Horst Kolberg, Neuss, VG Bild-Kunst, Bonn 2016
Der Gentleman war ein Einzelgänger
Feininger, das zeigt sich bei dieser Ausstellung wieder einmal, ist ein Einzelgänger unter den Klassikern der Moderne. Er, der Gentleman mit Schlips und Kragen, hatte zwar Kontakt zu den ungestümen Cliquen der Expressionisten, und die radikal modernen Klarheitsjünger aus dem Bauhaus waren seine Kollegen, aber letztendlich machte er sein eigenes Ding. Er hatte es immer allein geschafft. Mit 16 Jahren war er von seinem Vater nach Deutschland gebracht worden, um Musik zu studieren, folgte aber seiner Liebe zur Malerei. Er ging an die Hamburger Kunstgewerbeschule, wechselte im folgenden Jahr 1888 an die Königliche Akademie der Künste in Berlin und verdiente bald schon gutes Geld mit Illustrationen und Karikaturen für die um 1900 so beliebten lustigen Blätter. Das Titelblatt des „Kleinen Witzblatts“ für zehn Pfennig von 1899 stammt von Feininger: ein zwergenhaftes Männlein mit Federhut erscheint da im Schatten als Riese.
Mühelos illustrierte Feininger die Einfälle der Texter, bis nach Chicago verkaufte er Karikaturen und ernährte so seine junge Familie. Ehefrau Clara bekam zwei Töchter. Doch auf Dauer wollte Feininger mehr: Freiheit. Als er 1905 im Urlaub seine zweite Frau, die Weimarer Kunststudentin Julia, kennenlernte, änderte der Mittdreißiger sein Leben. Er holte sich Inspirationen in Paris und London und erlernte grafische Techniken so perfekt, dass er 1919 zum Leiter der Druckwerkstatt am neu gegründeten Weimarer Bauhaus wurde. Dabei entwickelte er einen eigenen, bis heute unverwechselbaren Stil. Lyonel Feininger betrachtete die Dinge durch das Kaleidoskop seiner Fantasie und schuf Kompositionen, die auf wundersame Weise an Kristalle erinnern.
Das Geheimnisvolle in der Nähe suchen
Dafür brauchte der Weitgereiste keine großartigen Erlebnisse. Ihm genügte der Anblick einer Waldkirche oder eines ländlichen Marktplatzes. Was da artig und fest auf der Erde stand, hob er auf eine andere Ebene, verzauberte es in etwas Leichtes, fast Abstraktes. Dabei folgte er den höheren Gesetzen der Geometrie, verschob die Geraden, ließ rechte Winkel spitz werden. „Die Erkenntnis ist mein“, schrieb er 1916 an den Kollegen Alfred Kubin, „dass es in der ganzen Welt… nichts Ungesetzliches, nichts Zufälliges, nichts ohne Form und Rhythmus gibt“. Und nach diesem Rhythmus suchte er in seiner unmittelbaren Umgebung. Aus den alten Häusern von Swinemünde machte er 1910 „Die Stadt am Ende der Welt“, einen geheimnisvollen Ort wie aus dem Bilderbuch eines ewigen Kindes. Den nadelspitzen Kirchturm des Weimarer Vororts Gelmeroda verewigte er in vielen Variationen, manche erinnern an die schrägen Kulissen expressionistischer Spielfilme. Auf einem Blatt von 1927 wiederum ließ Feininger das Kirchlein blau erblühen wie die Blume der Romantik. Überall war Feiningers Wunderland, zwischen Possendorf und Zottelstedt, zwischen Mellingen und Niedergrunstedt. „Es gibt Kirchtürme in gottverlassenen Nestern, die mir das Mystischste sind“, verriet er Kubin.
Souvenir de »Siemst«, ein Aquarell mit Tusche von Lyonel Feininger von 1937, Foto: Horst Kolberg, Neuss, VG Bild-Kunst, Bonn 2016
Das Spiel ist auch eine Kunst
Mit seiner Frau und den gemeinsamen Söhnen Laurence, Andreas und Theodore Lux verbrachte der begnadete Zeichner den Sommerurlaub oft an der Ostsee, wo er andere Formen entdeckte, die ihn faszinierten: Segelschiffe. Die großen Boote, die am Horizont vorbeizogen, ergänzte er mit selbstgefertigten Modellen. Das Spiel gehörte für Feininger zur Kunst. Die „Eisenbahnbrücke“ mitsamt dampfender Lokomotive auf einem Holzschnitt von 1919 könnte auch ein verrücktes Spielzeug sein. Tatsächlich hatte Feininger vor dem Ersten Weltkrieg eine Holzeisenbahn entworfen, die er auf den Markt bringen wollte. Und auch, als die Kinder schon ziemlich groß waren, schnitzte der Vater noch sentimentale Teile wie die hölzerne „Stadt“ von 1921, die in einer Vitrine steht wie die schmerzliche Erinnerung an frühere Seligkeiten.
Die Menschlein, die auf Feiningers Straßen und Stränden erscheinen, tragen oft die Schirmchen und Zylinder einer vergangenen Epoche. Sie sind keine Individuen, lediglich ein skurriler Teil der Komposition, ganz leicht, als könnte ein Windstoß sie davontragen. Ihr Schicksal wird von Feiningers Kunst nicht beklagt. Die Katastrophen des 20. Jahrhunderts hinterließen keine Spur in seinem Werk. Wie Spielzeug erscheint selbst die „Hansaflotte“ von 1918 auf kristallinen Wellen. Ab 1933, als die Nazis die Macht übernommen hatten und die moderne Kunst niedertrampelten, malte und zeichnete Feininger umso zarter. Einen Geburtstagsbrief an eine unbekannte Ilse aus dem Sommer 1934 ergänzte er mit aquarellierten Schiffchen und setzte sonnengelbe Segel gegen die Zumutungen der Zeit.
Informationen
„Lyonel Feininger: Zwischen den Welten“: bis 22. Januar 2017 im Museum Kunstpalast, Düsseldorf, Ehrenhof.
Dienstag bis sonntag von 11 bis 18 Uhr, Donnerstag bis 21 Uhr.
Der subtil gestaltete Katalog aus dem Wienand Verlag hat 128 Seiten und kostet 19,80 Euro. www.smkp.de