Das innere Nashorn: Schauspiel Düsseldorf denkt an Ionesco

Kein Dickhäuter zu sehen. Keine Maskeraden. Nur eine dumpfe, grollende Musik deutet auf das Erscheinen der „Nashörner“ hin. Als Eugène Ionesco Ende der 1950er-Jahre sein berühmtes Stück über die Entmenschlichung schrieb, hatte er die Nazis und ihre Mitläufer im Sinn. Heute denkt man sofort an neue Diktatoren, die Demokratien niederreißen. Aber Regisseurin Selen Kara, Co-Intendantin des Essener Theaters, verzichtet im Schauspielhaus Düsseldorf auf jeden aktuellen Verweis. „Die Nashörner“ sollen zeitlos wirken und sind dabei eher fad geraten.
Kein Zufall, dass hauptsächlich ältere Leute zur Premiere kamen. Das absurde Theater ist ja schon Geschichte – wie das Deklamieren kurioser Texte, das langsame eigene Denken und Telefonapparate mit Schnüren. Einen zeitraubenden Streit über die Frage, ob nun das asiatische oder das afrikanische Rhinozeros zwei Hörner hat, würde es nicht mehr geben. Das Netz weiß ja alles. Sofort. Die Inszenierung spielt daher in einer seltsam steifen Retro-Welt.
Tote Katze
Dort herrscht zunächst sommerlicher Sonntagsfrieden. Auf einem französischen Marktplatz zwischen türkisfarbenen Spielzeughäusern wird der unzufriedene Trinker Bérenger von Freund Jean aufgefordert, sein Leben zu ändern, während ein Herr mit starken Schulterpolstern, der „Logiker“, einem untertänigen Männlein aberwitzige Schlussfolgerungen beibringt. Plötzlich galoppiert ein Nashorn vorbei, für das Publikum unsichtbar. „Oh, ein Nashorn!“ rufen die versammelten Bürger und: „Also, so was!“ Noch sind harmlose Erklärungen denkbar (aus dem Zoo?), da erscheint ein weiteres Tier und zertrampelt eine Katze.

Die letzten Menschen in einer Welt voll Nashörner streiten sich: Bérenger (Heiko Raulin) kann seine Freundin Daisy (Sophie Stockinger) nichtr überzeugen, ein Mensch zu bleiben. Foto: Sandra Then / Schauspielhaus Düsseldorf
Das ist erst der Anfang. Immer mehr Nashörner poltern durch die Stadt, die Gefahr wächst. Und zugleich die Faszination. In Bérengers Büro, wo statt Ionescos Chef eine Chefin (herrlich bossig: Claudia Hübbecker) auftritt, erkennt die Belegschaft: Es sind die Menschen selbst, die hier willentlich zum Tier werden. Wie der Kollege Boeuf und seine Gattin, die erst mal eine zertrümmerte Treppe hinterlassen. Noch sind die rettenden Feuerwehrleute menschlich, aber bald schon verwandeln sie sich in eine Horde von Nashörnern. Die Zivilisation ist am Ende.
Letzter Mensch
„Wild und frei“ will auch der bisher so korrekte Jean sein und wehrt sich nicht mehr gegen „die Natur“ (Sebastian Tessenow zelebriert genüsslich den Rollenwechsel). Nachdem sogar seine geliebte Daisy (sehr aufgeregt: Sophie Stockinger) dem Ruf der Wildnis folgt, bleibt Bérenger in aufgelöster Hauskulisse als einziger Mensch zurück. Schwankend zwar, aber zum Widerstand entschlossen. Heiko Raulin spielt den letzten Humanisten mit einer glaubhaften Verzweiflung, die das Possenhafte der Geschehnisse vergessen lässt.
Am Ende steht er allein da. Bedroht von Nashörnern, die Ordnung und Gesetz in den Staub treten. Die Regisseurin hatte die etwas altbackene Idee, die Scheinwerfer auf den Saal zu richten, wo sich etliche Statisten in grauen Klamotten erheben, um sich auf der Bühne versammeln. Ja, verstanden! Wir sind im Zweifelsfall alle „Die Nashörner“. Aber erst einmal wird dem guten alten Vorzeigetheater sehr kultiviert applaudiert.

Am Ende sind alle dem Nashornwesen verfallen: das Ensemble mit Statisten beim Applaus nach der Ionesco-Inszenierung im Schauspielhaus. Foto: bikö
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„Die Nashörner“ von Eugène Ionesco, 1959 von Karlheinz Stroux in Düsseldorf uraufgeführt, wurde jetzt neu übersetzt und von Selen Kara auf der großen Bühne des Schauspielhauses inszeniert. Die Vorstellung dauert eindreiviertel Stunden, ohne Pause. Weitere Vorstellungen sind am 19. und 30. Dezember sowie am 6., 12. und 31. Januar, jeweils 19.30 Uhr. www.dhaus.de